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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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nicht auf den Sack, ich schau mir das Spiel an.«
    Meine Mutter hat den Fernseher ausgemacht.
    Der Typ hat gebrüllt: »Mach ihn wieder an, verdammte Scheiße!«
    »Nein.«
    Da hat Gardini den Kopf verloren, er ist aufgestanden und hat gesagt: »Himmel Herrgott! Du hast es so gewollt.« Und er hat meine Mutter geohrfeigt, links und rechts.
    Das war ein Fehler.
    Meine Mutter ist ganz bleich geworden. Sie ist ohne ein Wort raus und direkt in die Garage. Dann ist sie mit einer Heugabel zurückgekommen. Und meine Mutter mit einer Heugabel, das ist nicht zum Lachen. Vor allem, wenn sie einem damit auf den Bauch zielt und mit ruhiger Stimme sagt: »Du packst jetzt deine Siebensachen und haust ab.«
    Gardini wollte die Muskeln spielen lassen. Er ist mit erhobener Hand auf sie zu, um ihr zu drohen, so nach dem Motto: »Was ist, willst du noch eine? Hast du nicht genug?«
    Da hat meine Mutter zugestochen, zack, in den Oberschenkel. Ein kräftiger, kurzer Stoß, wie beim Stierkampf. Das Blut hat nur so gespritzt, und er hat gebrüllt: »Verdammte Scheiße noch mal! Bist du verrückt geworden?!«
    Meine Mutter hat gesagt: »Sieht wohl so aus … Ich zähle bis drei. Eins …«
    Und Gardini hat sich auf der Anrichte die Schlüssel von seinem Simca geschnappt, ist rückwärts zur Tür gehumpeltund hat noch gesagt: »Denk nach, Jacqueline! Denk gut nach! Wenn ich jetzt gehe, siehst du mich nie wieder.«
    »Ich habe schon nachgedacht. Zwei …«
    »Ich verzeihe dir!«
    Meine Mutter hat die Heugabel wieder auf ihn gerichtet und diesmal einen Tick höher gezielt: »Drei …«
    Der Typ hat noch zwei-, dreimal »Verdammte Scheiße noch mal« gesagt, dann ist er den Gartenweg runtergerannt. Er hat sich ans Steuer von seinem Auto gesetzt, ihr noch mal die Faust gezeigt und gebrüllt: »Du kannst noch was erleben!« Dann ist er abgedüst – ohne seinen Wohnwagen, weil der an dem Morgen gerade abgekoppelt war.
    Ein paar Tage später kam Monsieur Saunier, der damalige Bürgermeister, vorbei.
    »Sag mal, ich bin hier, weil ein gewisser Gardini im Rathaus angerufen hat, wegen eines Wohnwagens, den du anscheinend eigenmächtig in deinem Besitz hältst.«
    »Stimmt.«
    »Er möchte ihn wiederhaben.«
    »Dann soll er herkommen«, hat meine Mutter gesagt. »Er wird gut empfangen werden.«
    »Du erscheinst mir feindselig, Jackie. Hast du ihm etwas vorzuwerfen?«
    »Ja. Er schlägt meinen Jungen.«
    »So!«, hat der Bürgermeister gemeint.
    »Und mich.«
    »Ach!«
    »Und was willst du jetzt tun? Mir die Polizei auf den Hals hetzen?«, fragte meine Mutter.
    »Warum denn? Du sagtest doch, der Herr würde gut empfangen werden, wenn er käme, oder?«
    »Das habe ich gesagt.«
    »Du hast mir gegenüber keine einzige Drohung ausgesprochen, was den Mann betrifft?«
    »Nicht die geringste.«
    »In diesem Fall ist das eine persönliche Angelegenheit und geht die Polizei nichts an. Du hast jedes Recht, einen Freund gut zu empfangen .«
    »Stimmt. Wir leben schließlich in einer Demokratie.«
    »Nun, dann ist das alles. Ach nein … Bevor ich gehe, fällt mir da noch was ein … Hast du zufällig eine Heugabel?«
    »In der Garage.«
    »Würdest du mir die mal leihen, sagen wir, für zwei oder drei Monate?«
    Der Mistkerl hat ein paar Wochen lang jeden Abend bei uns angerufen, um meiner Mutter zu drohen. Dann immer seltener. Und irgendwann gar nicht mehr.
    »Aber Jackie, was machst du denn, wenn er wiederkommt?«, fragten die Nachbarinnen.
    Meine Mutter antwortete: »Nichts Gutes.«
    Sie war noch nie besonders redselig.

 
    D ieser Wohnwagen war erst meine Spielhütte und dann mein Liebesnest. Sehr praktisch. Und dann habe ich eines Tages beschlossen, meinen Hauptwohnsitz daraus zu machen.
    Man muss dazusagen, dass meine Mutter unerträglich wurde.
    Sie baute immer mehr ab, mit dreiundsechzig – wenn das kein Jammer ist. Sie redete nur noch mit ihrer Katze, und auch mit der faselte sie komisches Zeug. Sie interessierte sich für nichts mehr, außer für ihre Zeitschriften, verbrachte ganze Tage damit, Fotos von amerikanischen Schauspielern auszuschneiden, um sie dann in unsere Familienalben zu kleben. Ich habe sowieso kaum Erinnerungen, und die paar, die ich habe, bedeuten mir nicht viel, aber es ging mir dann doch auf den Senkel – höflich gesagt –, wenn ich nicht meinen Großvater oder meinen Onkel Georges in den Alben sah, sondern Tom Cruise oder Robert de Niro.
    Wenn ich sie fragte, warum sie das machte, sagte sie: »Ich habe seine Visage

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