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Das Labyrinth der Wörter

Titel: Das Labyrinth der Wörter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Schachtel. Nennt mich lieber Jackie!«
    Der Lackaffe hörte nicht auf, um sie herumzuscharwenzeln, ihr zu erzählen, dass sie kochte wie eine Königin, dass sie Sterne im Michelin verdienen würde, dass man sie unter die zehn Weltwunder aufnehmen sollte … So schleimte er von morgens bis abends rum. Kurz, nach ein paar Tagen verschlangen sie sich während des Essens fast mit den Augen und redeten kaum noch.
    Am Anfang war ich ganz erleichtert, weil ich dadurch meinen Teller und mein Glas nicht mehr vor fliegenden Geschossen beschützen musste. Aber auch wenn ich klein war, war ich noch lange nicht blind. Wenn meine Mutter aufstand, um Brot zu holen oder den Weinkrug aufzufüllen, sah ich genau, dass Gardini ihr mit dem Blick folgte wie ein unglücklicher Hund, der dabei zuschauen muss, wie sich sein Fressnapf entfernt. Und dass er vor allem unter die Gürtellinie schielte.
    Manchmal fing er gleich nach dem Käse an, auf seinem Stuhl rumzuhüpfen wie ein Maiskorn in der heißen Pfanne.Am Ende sagte er: »Ich habe hübsche Sachen aus meiner Pariser Fabrik mitgebracht. Möchten Sie mal sehen?«
    »Ich würde ja gern, aber Sie wissen doch, Jean-Mi, ich kann es mir nicht leisten …«
    »Nur zum Augenschmaus!«
    »Na gut, wenn das so ist …«
    Und er flitzte los, zum anderen Ende des Grundstücks. Er kam mit dem großen Koffer zurück, den er immer auf dem Rücksitz seines Simca rumkutschierte und wo draufstand: Brotard & Gardini – Echter Pariser Schick – Schmuck und Juwelen .
    In der Zwischenzeit hatte meine Mutter den Tisch abgeräumt. Gardini stellte seine Schatztruhe auf den Tisch und begann, seinen billigen Ramsch auszupacken und ihr die Ware anzupreisen.
    »Hier, sehen Sie mal diese Halskette. Die ist echt versilbert, da ist der Stempel. Probieren Sie sie an! Kommen Sie, nur um zu sehen … Sie würde Ihren Hals so gut zur Geltung bringen.«
    Ich fragte mich wirklich, warum er von ihrem Hals redete, denn es waren nie kurze Ketten, sondern ellenlange Modelle, die bis auf ihren Busen reichten.
    Gardini war jedenfalls sehr hilfsbereit. Er sprang hinter sie und presste sich an ihren Körper. »Warten Sie, Jacqueline, warten Sie, ich werde sie Ihnen umlegen!«
    Es schien ganz schön schwierig zu sein, so wie er sich hinter ihrem Rücken abmühte. Meine Mutter kicherte laut, und er wurde krebsrot und bekam eine komisch heisere Stimme.
    Schließlich meinte meine Mutter zu mir: »Sag mal, Germain, es ist doch längst wieder Zeit für die Schule!«
    Was mehr als verdächtig war, denn normalerweise war es ihr schnuppe, ob ich in die Schule ging oder nicht. Und dannfügte sie noch in einem merkwürdig netten Tonfall hinzu: »Los, los, du kommst sonst zu spät!«
    Und ich sagte mir: »Frauen sind doch echt bescheuert. Es reicht eine Halskette, und sie sind wie ausgewechselt.«
    Kinder sind eben noch unverdorben.

 
    D ieser Gardini hatte sich schnell eingenistet. Er blieb vierzehn Tage, fuhr drei Tage wieder weg, kam zurück und so weiter. Er streckte seine Beine immer weiter unter den Tisch, fläzte sich immer breiter aufs Sofa. Und er hatte beschlossen, mich »an die Kandare zu nehmen«, wie er sagte.
    Er fing an, mich rumzukommandieren: »Räum dein Zimmer auf! Deck den Tisch! Quatsch mich nicht voll! Geh schlafen!« Dann begann er, meine Mutter zu duzen und sich mit ihr Freiheiten rauszunehmen: »Der Braten ist versalzen. Bring mir ein Bier! Und wo bleibt mein Kaffee?«
    Meine Mutter ist eigentlich eine brave Stute, aber man darf nicht zu fest an der Trense ziehen. Wir sind verdammt heißblütig in der Familie. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das schon gesagt habe: Meine Statur, die habe ich von ihr. Sie ist natürlich ein bisschen weiblicher gebaut. Aber im Verhältnis gar nicht mal so sehr. Gardini reichte ihr gerade bis zum Ohr, was nicht besonders viel ist, wenn man einen auf Macker machen will.
    Kurzum: Was passieren muss, passiert. Das ist das Gesetz des Schicksals, und ich habe festgestellt, dass es auch im Schlechten gilt.
    Eines Abends, ich weiß nicht mehr genau, was der Grund oder Vorwand war, hat er mir eine gescheuert. Und meiner Mutter fehlte zwar diese Ader, aber sie hatte immer einenausgeprägten Sinn für ihr Eigentum. Die Einzige, die ihrem Sohn eine schmieren durfte, das war sie. Sie hat gesagt: »Du schlägst das Kind nicht!«
    »Halt’s Maul!«, hat der Typ zurückgebrüllt.
    »Wie bitte? Was?«, hat meine Mutter gefragt. »Was hast du gesagt?«
    »Du hast mich sehr gut gehört. Und geh mir

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