Das Labyrinth der Zeit
unvorbereitete Zielpersonen zu stoßen, die sich gerade ein Handgemenge lieferten.
Travis atmete tief durch und versuchte, seine Hand auf der Arbeitsfläche aus Granit ruhig zu halten.
Die Schritte draußen legten das letzte Stück bis zur Tür zurück. Der Anführer der Truppe geriet keinen Moment lang aus dem Tritt. Er trat aus dem Lauf heraus mit voller Wucht gegen das Türschloss, worauf das Schließblech vom Rahmen gesprengt wurde und die Tür mit einem Krachen nach innen herein aufflog.
Dominic rechnete eigentlich nicht damit, Schüsse zu hören. Der Greiftrupp würde lediglich darauf abzielen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Schlimmstenfalls würden sie ein paar Drei-Schuss-Salven in die Decke abgeben, zur Einschüchterung, aber selbst das war unwahrscheinlich. Diese Männer waren Profis, die sich auch ohne Mätzchen dieser Art Respekt zu verschaffen wussten. Und ihre Befehle waren unmissverständlich: Die Zielpersonen sollten lebend gefasst werden. Weshalb Schüsse jeder Art als unnötiges Risiko zu vermeiden waren.
Dominics eigene Instruktionen waren ähnlich klar umrissen: Er sollte, sofern erforderlich, das Fahrzeug der Besucher technisch außer Gefecht setzen – ein gezielter Schuss in den Motorblock würde schon genügen –, ansonsten aber das Feuer halten.
Unter direkten, potenziell tödlichen Beschuss sollte Dominic die Besucher nur im äußersten Notfall nehmen: Um sie mit allen Mitteln an der Flucht zu hindern, sofern es ihnen irgendwie gelang, dem bewaffneten Team zu entwischen. Was aber so gut wie unvorstellbar war.
So weit würde es nicht kommen. Der Plan mit dem Lockvogel war zwar gescheitert, ziemlich kläglich sogar, alles Weitere aber würde jetzt ein Kinderspiel.
Dieser Gedanke ging ihm gerade durch den Kopf, als er das Splittern der eingetretenen Tür hörte – und praktisch im gleichen Moment die ersten Schüsse krachten. Er zuckte heftig zusammen und riss sich den Ohrhörer heraus, erkannte aber schon vorher, was er da hörte: nicht die Salven vom Kaliber 9 mm, die der Trupp abfeuern würde, sondern einzelne Schüsse schwereren Kalibers. Nach einer Smith & Wesson hörte es sich an, Kaliber .40. Und dazwischen vielleicht auch ein paar 9-mm-Schüsse, einzeln allerdings, nicht in Salven. Alle Schüsse wurden durchgehend einzeln abgegeben.
Dann war es vorbei.
Es hatte nur drei Sekunden gedauert.
In der Stille konnte er den Puls in seinen Ohren klopfen hören. Und den Wind, der seufzend über den Bergkamm ins Tal herabwehte und die großen Schneeflocken fast waagerecht zur Seite trieb.
Er tastete nach seinem Ohrhörer und nestelte ihn wieder an Ort und Stelle, hörte aber dann längere Zeit überhaupt nichts mehr.
Travis richtete sich auf und spähte rasch umher, um sich einen Überblick über die Lage nach der Schießerei zu verschaffen.
Paige und Carrie waren beide unverletzt.
Die Körper, die vorne im Eingangsbereich lagen, gaben kein Lebenszeichen mehr von sich.
Mit einem weiteren Angreifer war offenbar nicht zu rechnen. Schritte oder Stimmen waren von draußen keine zu hören. Nur der Wind, der den Schnee in der Finsternis um das Haus blies.
Der Lockvogel lag weiter gefesselt vor dem Sessel. Noch immer bewusstlos und unversehrt.
Die Frauen verließen ihre Deckung. Sie wechselten einen Blick und sahen dann zu Travis.
Travis ging von der Küche zur Haustür hinüber, wobei er seine SIG weiter auf die Körper gerichtet hielt. Er musterte sie der Reihe nach, sah, dass sie alle mindestens einmal im Kopf getroffen waren, und spürte, wie seine Anspannung ein wenig nachließ.
Nur um gleich darauf wieder in Alarmbereitschaft zu geraten.
Fünf Körper.
Vor seinem geistigen Auge sah er, wie der Lockvogel fünf Finger einer Hand in die Höhe hielt und dann nach einem Achselzucken einen weiteren Finger hinzufügte.
Fünf, möglicherweise sechs.
Falls es noch einen sechsten Mann gab, wo befand er sich dann? Warum fehlte er bei der Gruppe?
Travis rief sich das Gelände rings um die Hütte vor Augen, wodurch sich die Antwort wie von selbst ergab. Sie jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Ein Ausguck, der das Geschehen von weiter oben aus im Auge behielt. Wahrscheinlich ebenfalls bewaffnet.
Er sah, dass die Toten Ohrhörer trugen. Er bückte sich, klaubte sich einen heraus und steckte ihn sich selbst ins Ohr.
«Sind Sie da?», fragte er. «Hören Sie das? Das ist das Geräusch keines Ihrer Freunde, der noch atmet.»
Er wartete.
Keine Antwort.
Womöglich
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