Das Labyrinth der Zeit
redete er ja ins Leere. Er hoffte es sehr, zweifelte aber im Stillen daran.
Dominic hatte bereits sein Mikro hinter den Kopf geklemmt, damit der Mann ihn nicht atmen hörte. Den Ohrhörer dagegen nahm er nicht heraus. Um zuzuhören. Einige Zeit blieb es still. Es fühlte sich an wie das akustische Gegenstück zu einem Showdown.
«Korrigiere», ließ sich der Mann in der Hütte schließlich erneut vernehmen. « Eine Freundin von Ihnen atmet noch. Die nette alte Dame, die uns belogen hat. Mag sein, dass sie jetzt nicht direkt Ihre Freundin ist – aber auf jeden Fall die Freundin von irgendwem anderen, nicht wahr? Den Leuten, für die Sie arbeiten, bedeutet sie bestimmt etwas, möchte ich wetten.»
Dominic spürte, wie sein Adrenalinspiegel langsam in die Höhe kletterte. Er begriff nur zu gut, worauf das hier hinauslaufen würde.
«Sie muss jemand sein, der ihnen persönlich nahesteht», fuhr der Mann fort. «Wem sonst würden sie eine so heikle Aufgabe anvertrauen? Sie werden sie wohl kaum in irgendeiner Internetbörse angeheuert haben.»
Verflucht. Verflucht.
«Also, hören Sie gut zu», sagte der Mann. «Wir drei, sowie Ihr Lockvogel, kommen jetzt gleich nach draußen. In einer kompakten Gruppe. Schießen Sie lieber nicht auf uns, Sie würden sie auf jeden Fall treffen. Wir gehen zusammen zum Jeep und setzen uns rein, und auch im Jeep bleiben wir ganz kompakt zusammen, und zwar so lange, bis wir über alle Berge sind. Und sollten Sie versuchen, unser Fahrzeug zu sabotieren, um uns am Wegfahren zu hindern, werde ich ihr als Antwort umgehend das Hirn aus dem Kopf pusten. Probieren Sie’s nur, falls Sie das für einen Bluff halten.»
Gleich darauf war ein lautes, plastikartiges Klappern zu hören: Der Mann hatte den Ohrhörer achtlos zu Boden fallen lassen.
Der Typ bluffte nicht, davon war Dominic überzeugt. Aber selbst im gegenteiligen Fall hätte er dieses Risiko nicht eingehen können. Er hatte keine Ahnung, wer diese Frau tatsächlich war – die Entscheidung, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, lag also keinesfalls bei ihm.
Sondern bei jemand anderem.
Er griff in seinen Parka und holte das blaue Handy heraus. Er drückte zweimal auf die «Abschicken»-Taste und sah, wie das Display aufleuchtete, während das Telefon bereits die Nummer des Mannes wählte, der ihn am Vorabend angerufen hatte.
Es klingelte einmal. Niemand ging dran.
Aus der Hütte, unter ihm in der Tiefe, kam ein breiter Umriss zum Vorschein. Vier dicht aneinandergedrängte Körper. Drei, die aufrecht gingen, und einer, der getragen wurde. Auch ohne Zielfernrohr sah Dominic auf einen Blick, dass er keinerlei Schussmöglichkeit hatte. Weil die Personen so dicht beieinander blieben, dass sich in dem dunklen Umriss kein einziger Kopf deutlich abzeichnete.
Es klingelte zum zweiten Mal. Niemand ging dran.
Die Gruppe kam bei dem Jeep an, stieg ein, und der Motor wurde gestartet. Die Scheinwerfer flammten auf.
Es klingelte zum dritten Mal. Niemand ging dran.
Das Fahrzeug wurde in einem weiten Bogen zurückgesetzt, bis es zur Straße hin zeigte, schoss dann mit einem Satz vorwärts, bog rasant in die Straße ein und raste durch das Tal hinab davon, in Richtung Stadt.
Es klingelte zum vierten Mal. Niemand ging dran.
Dominic spähte durch das Zielfernrohr und richtete das Fadenkreuz auf den Jeep aus. Unter Berücksichtigung aller Variablen, die sich automatisch in seinem Kopf einstellten – Entfernung, Schnelligkeit, Neigungswinkel, Zeit – überschlug er seine Chancen.
Er könnte das Fahrzeug jetzt mit Leichtigkeit durch einen gezielten Schuss stoppen. Sobald es zum Stehen gekommen war, könnte er einen Schuss nach dem anderen in den Innenraum abfeuern und dann hinüberspurten, um die Sache zu einem sauberen Abschluss bringen.
Diese Möglichkeit würde er, beim derzeitigen Tempo des Jeeps, etwa zwanzig Sekunden lang haben. Danach müsste er mehr auf sein Glück als auf sein Können vertrauen, um den Wagen noch zu treffen.
Zwanzig Sekunden, falls sich jetzt endlich jemand meldete.
Neunzehn Sekunden.
Es klingelte zum fünften Mal. Ein Klicken war in der Leitung zu hören. Ein Mann meldete sich: «Reden Sie.»
Travis war äußerst unwohl dabei, mit angeschaltetem Licht fahren zu müssen, wodurch der Jeep ein leichtes Ziel abgab, aber er hatte keine Wahl. Bei der geschlossenen Wolkendecke war es im Tal pechfinster, und er konnte es sich schlicht nicht leisten, von der Straße abzukommen. Mit dem Jeep in eine Schneewehe zu rasen und
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