Das Labyrinth der Zeit
schwieg kurz. «Sie sind Peters Tochter.»
Paige wandte sich zu ihr um und nickte.
«Ich habe Sie heranwachsen sehen, auf den Fotos, die auf seinem Schreibtisch standen», sagte Carrie. «Sie waren vierzehn, als ich ausgeschieden bin.» Wieder schwieg sie kurz, ehe sie weiterredete. «Er ist tot, nicht wahr? Denn wenn er noch am Leben wäre, hätte er niemals zugelassen, dass Sie herkommen, um mich nach Skalar zu befragen.»
Paige nickte abermals.
Travis bog nach rechts auf die 550 ein, die schnurgerade durch Ouray hindurchführte. Schon von hier aus konnte er sehen, wie sie jenseits der Stadtgrenze ins Dunkel führte.
Dann sog Carrie auf einmal so scharf die Luft ein, dass Travis und Paige sich beide zu ihr umsahen. Travis hätte darauf getippt, dass sie Schmerzen hatte, aber sie krümmte sich nicht und hielt sich auch nicht ihre Wunde, sondern hatte beide Hände locker vor sich auf den Schoß gelegt.
Lediglich ihre Miene war angespannt – vor Angst.
Sie sah sie beide beklommen an. «Fängt es wirklich wieder an? Alles, was mit Skalar zu tun hatte?»
«Ja», sagte Travis. «Wie viel wissen Sie darüber?»
«Nicht alles. Ich weiß, wie es damals angefangen hat. Was die Gründe dafür waren. Über die Ermittlung selbst weiß ich kaum etwas. Peter hat nur … äußerst ungern darüber gesprochen.»
«Das kann ich inzwischen bestätigen», sagte Paige.
«Erzählen Sie uns bitte alles, was Sie wissen», sagte Travis. «Für uns ist die Sache bislang ein einziges Fragezeichen.»
Carrie nickte und schwieg zunächst, während sie ihre Gedanken ordnete. Als sie dann zu reden anfing, meinte Travis noch immer einen, wenn auch mühsam beherrschten, Unterton von Angst in ihrer Stimme wahrzunehmen.
«Die Skalar-Ermittlung folgte einer Fährte, die längst eiskalt war. Von Anfang an, seit Peter und die anderen sich 1981 an die Arbeit machten. Es ging um eine Spurensuche, eine Fahndung in gewisser Weise, obwohl allen klar war, dass der Mann, nach dem sie fahndeten, längst tot war. Ihr Ziel war es, in Erfahrung zu bringen, was er im Einzelnen kurz vor seinem Tode getan hatte – etwas, das sehr weitreichende Folgen haben könnte. Der Mann, um den es ging, hieß Ruben Ward. Sie beide haben sicherlich schon von ihm gehört.»
Der Name kam Travis auf Anhieb bekannt vor, doch er wusste ihn zunächst nicht einzuordnen. Ganz so, wie es einem mitunter schwerfiel, dem Namen eines obskuren Schauspielers ein Gesicht oder eine Rolle zuzuordnen. Er sah Paige an, die allerdings keine Unsicherheit erkennen ließ – sie wusste sofort, wer Ruben Ward war.
Sie wandte sich ihm zu. «Du hast an deinem ersten Tag in Border Town von ihm erfahren. In dem Tagebuch, das du unten auf B51 gelesen hast.»
Richtig, jetzt fiel es ihm wieder ein. In der ersten Stunde , die Travis über drei Jahre zuvor in Border Town verbracht hatte, hatte Paige mit ihm zur Einführung einen Rundgang unternommen. Was bedeutete: Sie hatte ihm die Pforte gezeigt. Vorher jedoch hatte sie ihn in eine Art Bunker geführt, ein Stück den Gang hinunter, und ihm dort ein blutbeflecktes Notizbuch zu lesen gegeben, das Aufzeichnungen aus der Entstehungszeit der Pforte enthielt – März 1978.
Dieses Tagebuch war von einem Mann namens David Bryce verfasst worden, einem Physiker und Mitbegründer des Sehr Großen Ionen-Speicherring-Projekts, das einst – nur für kurze Zeit nach seiner Fertigstellung – hier unten auf B51 untergebracht war. Bryce hatte entschieden, die Ereignisse rund um den SGIS schriftlich zu dokumentieren: in einem formlosen Tagebuch, in dem er und alle beteiligten Kollegen ihre Eindrücke und Gedanken festhalten sollten, wann immer sie dazu Lust hatten. Den ersten Eintrag hatte Bryce wenige Stunden vor dem ersten Schuss in dem Speicherring zu Papier gebracht, er klang heiter-beschwingt und voller Hoffnung. Was sich von den restlichen Einträgen nicht gerade behaupten ließ.
Die weiteren Tagebucheinträge dokumentierten nicht nur die höllischen ersten Tage nach der Entstehung der Pforte, sondern auch Bryce’ eigenen geistigen Abstieg auf eine Art animalische Bewusstseinsebene; seine kognitiven Fähigkeiten und insbesondere Hemmungen waren unter der Einwirkung der Pforte kontinuierlich geschwunden – genauer gesagt unter Einwirkung der Klänge, die daraus zu vernehmen waren und die heute als Portalstimmen bezeichnet wurden.
In dem Tagebuch war auch von Ruben Ward die Rede, dem Mann, der persönlich den Schalter betätigt hatte, mit dem
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