Das Labyrinth der Zeit
schließlich wieder in die Straße, wo er den Chevelle abgestellt hatte. Die Parkuhr war längst abgelaufen, und unter dem Scheibenwischer klemmte ein saftiger Strafzettel. Travis warf ihn achtlos auf die Straße, legte das Notizbuch auf den Beifahrersitz, startete den Motor und fuhr los, um Baltimore so rasch wie möglich den Rücken zu kehren.
Zwanzig Meilen, nachdem er auf der I-95 in Richtung Süden gefahren war, verließ er die Autobahn wieder und folgte den Hinweisschildern zu einem riesigen Einkaufszentrum mit entsprechend überdimensioniertem Parkplatz, einer Art Tundra voll säuberlicher gelber Markierungen, in kaltes weißes Licht getaucht. Um diese Uhrzeit parkte hier kein einziges Fahrzeug. Sicherheitshalber fuhr Travis bis zur Mitte des Areals, um eventuell drohendes Ungemach schon von weitem herannahen zu sehen. Er stellte den Motor ab, schaltete die Innenbeleuchtung an und schlug das Notizbuch auf.
Die erste Seite war leer.
Ebenso die zweite.
Und auch alle übrigen Seiten des Notizbuchs waren weiß.
Er kehrte wieder zum Anfang zurück und bemerkte erst jetzt etwas, was er bis dahin übersehen hatte: In der Spiralbindung steckten vier oder fünf zerfetzte Papierstreifen. Hier waren offensichtlich Blätter herausgerissen worden.
Jetzt begriff er, was es mit dem reißverschlussartigen Geräusch auf sich gehabt hatte. Und wieso Ward durch sein lautes Geschrei davon hatte ablenken wollen.
Er stieg aus und schrie seine Verzweiflung in die Nacht hinaus, bis ihm der Hals weh tat. Ein tierhafter Laut, der bis weit über die Felder und die halb errichteten Neubauten hallte, die hier jenseits der Vororte aus dem Boden gestampft wurden.
Eine ganze Weile lief er rastlos auf und ab, von dem Auto zum nächsten Lichtmast und wieder zurück. Jedes Mal, wenn er auf seiner Runde bei dem Lichtmast ankam, versetzte er dem zylinderförmigen Betonsockel mit dem rissigen gelben Farbanstrich, in dem der Mast verankert war, einen Tritt und fragte sich unwillkürlich, in welchem Grad sein momentaner Gefühlshaushalt dem seines zehnjährigen Ichs entsprach.
Eigentlich, das war ihm klar, hätte er sich aus der Erinnerung längst wieder ausklinken können, aber er konnte sich nicht recht dazu entschließen. Aus Ratlosigkeit, wie er Paige und Bethany beibringen sollte, dass seine Mission kläglich gescheitert war, scheute er davor zurück. Natürlich könnte er ihnen irgendetwas vorlügen, seine Bemühungen in ein heroischeres Licht rücken – wie hätten sie das schließlich überprüfen sollen –, aber das widerstrebte ihm. Nein, er würde ihnen alles erzählen. Aber noch nicht jetzt sofort.
Wieder beim Wagen angelangt, beugte er sich hinein und nahm das Notizbuch vom Sitz. Er lehnte sich an die Autotür und betrachtete kurz den Einband im hellen Quecksilberlicht.
Er schlug es abermals auf. Einfach so, ohne Grund.
Dann aber machte er eine Entdeckung, bei der ihm der Atem stockte.
Im schräg einfallenden Licht waren Einkerbungen im Papier zu erkennen. Schemenhafte Abdrücke der Worte, die auf das Blatt darüber geschrieben worden waren, tief eingeprägt von der Kugelschreibermine.
Er stieß sich vom Wagen ab und trat näher auf den Lichtmast zu. Hielt das Notizbuch schräg und drehte sich mal hierhin, mal dorthin, bis das Licht in optimalem Winkel auf das Papier fiel.
Seine erste Hoffnung schlug jäh in Ernüchterung um. Auf dem Papier befanden sich Abdrücke, sicher, aber sie stammten von mehreren Seiten darüber. Ein komprimiertes Durcheinander handschriftlicher Einträge, so unentwirrbar, dass es praktisch unleserlich war.
Bis auf zwei Zeilen.
Zwei Stellen, an denen es zufällig keine Überschneidung gegeben hatte.
Als er sich das Papier dichter vor die Augen hielt, um zu lesen, was dort geschrieben stand, überlief ihn spontan eine Gänsehaut. Weil ihm jäh der Gedanke kam, dass es sich hierbei um eine Botschaft von Außerirdischen handelte. Zwar von einem Menschen ausgesprochen und auch von einem Menschen zu Papier gebracht, aber dennoch außerirdischen Ursprungs.
Dann entzifferte er die beiden Zeilen.
Aus dem ersten Textfetzen war unmöglich schlau zu werden – es waren zwei unvollständige Sätze, beim ersten fehlte der Anfang, beim anderen das Ende.
ein Gang unter der dritten Kerbe. Suchen Sie dort
Trotzdem sann er kurz darüber nach. Anscheinend ein Fragment aus einer detaillierten Handlungsanweisung, eine Wegbeschreibung zu einem Ort, an dem etwas Bestimmtes zu finden war – ein Ort mit
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