Das Labyrinth der Zeit
sie dort herumkramte, eine Kaffeekanne und noch andere Gegenstände auf Holz beiseiteschob, ehe sie zwei Schlüssel zum Vorschein brachte, jeder an seinem eigenen Ring mit einem Schlüsseletikett aus Plastik, schlicht mit Nr. 1 und Nr. 2 beschriftet. Sie schob Travis die Schlüssel entgegen. «Der Eingang ist draußen, auf der Hausrückseite.»
Damit kehrte sie wieder zur Kasse zurück und kümmerte sich nicht weiter um sie.
Travis wechselte rasch einen Blick mit Paige und Bethany, dann standen sie auf und ließen ihre Getränke auf dem Tresen zurück. Sie waren schon fast an der Tür, als Travis unvermittelt stehen blieb und sich noch einmal zu Jeannie umwandte.
«Sagt Ihnen der Name Ruben Ward irgendwas?», fragte er.
Sie blickte ihn an.
Travis hatte schon oft mit Leuten zu tun gehabt, die sich dumm stellten. Die meisten trugen dabei unweigerlich zu dick auf. Verzogen übertrieben das Gesicht, heuchelten allzu große Verwirrung, eine Reaktion, die von vornherein verräterisch war. Denn was sollte verwirrend daran sein, einfach nur einen unbekannten Namen zu hören?
Jeannie aber wirkte nicht verwirrt, sondern, was noch seltsamer war, eher verdutzt. Travis hatte den Eindruck, dass sie zwar über Ward nichts wusste, aber den Namen schon einmal gehört hatte. Vielleicht kürzlich erst.
Gleich darauf schüttelte sie den Kopf. «Tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.»
Travis überlegte kurz, ob er noch einmal nachhaken sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er wandte sich um und verließ mit den beiden Frauen das Lokal.
Sie gingen gerade auf der linken Seite um das Haus herum, durch ein Gässchen, aus dessen rissigem Asphaltbelag hier und da etwas Gras emporwucherte, als es geschah.
Es fing als Geräusch an – zumindest mutete es an wie ein Geräusch. Wie das frenetische Brummen eines überlasteten Elektrotrafos etwa, der gleich schlappmachen würde, oder auch das seltsam knackende, statische Sirren, das mitunter an heißen Sommertagen von einer Wiese voller Heuschrecken aufstieg. Es schwoll plötzlich an, wie aus dem Nichts, scheinbar in unmittelbarer Nähe von Travis – hinter ihm, dachte er zunächst. Er schnellte herum, um nach der Geräuschquelle Ausschau zu halten, sah aber nichts und merkte noch während seiner Bewegung, dass sich dabei an der Richtung des Geräusches rein gar nichts änderte. Weil es keine Richtung hatte. Einfach überall war, als würde er es durch ein Paar Kopfhörer wahrnehmen. Paige und Bethany ging es offenbar nicht anders. Auch sie hörten es. Sie sahen erst ihn an, wechselten dann sichtlich beunruhigt einen Blick – bis beide gleich darauf erstaunt die Augen aufrissen.
Weil ihnen gerade dasselbe Phänomen aufgefallen war wie Travis Sekunden zuvor.
Es war gar kein Geräusch im engeren Sinne. Es war nichts, was sie mit den Ohren wahrnahmen. Irgendwie war es dazu viel zu nahe – nämlich bereits in ihren Köpfen.
Es war eher ein Gedanke.
Sie hörten ihn in etwa so, wie sie ihre eigenen inneren Gedankenmonologe hörten.
Alle drei hielten inne und blickten einander an. Keiner sagte etwas. Die Empfindung verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde, schwoll an, wurde immer lauter und deutlicher. Travis spürte, wie sie sich beinahe zu einer körperlichen Präsenz steigerte, während der insektenartige Eindruck sich fortwährend intensivierte. Fast so, als würden in seinem Schädel Insekten umherwimmeln, ein Gefühl von Bedrängung, bei dem ihm zunehmend übel wurde. Paige und Bethany machten offenbar dasselbe durch, er sah, wie beide bewusst tief und langsam atmeten, um ihren Magen unter Kontrolle zu halten.
Und dann war es vorbei. Das Geräusch hörte urplötzlich auf, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Nur noch die Stille der menschenleeren Stadt umgab sie.
Alle drei standen einen Moment lang da, ohne etwas zu sagen. Sie atmeten einfach nur ein und aus, darum bemüht, sich nach diesem verstörenden Erlebnis wieder zu beruhigen.
«Was zum Teufel geht hier bitte vor sich?», fragte Bethany, kaum lauter als im Flüsterton.
Travis kam spontan in den Sinn, wie sich das Meer kurz vor Eintreffen eines Tsunamis weit zurückzog. Wie sich die Haare von Leuten elektrisch knisternd aufstellten, ehe ein Blitz einschlug. Auch das angebliche panische Gebaren von Tieren fiel ihm ein, wenige Stunden vor einem Erdbeben.
«Keine Ahnung», sagte er, viel leiser als beabsichtigt. Dann deutete er mit einer Kopfbewegung zur Rückseite des Hauses. «Na los. Gehen
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