Das Labyrinth des Maal Dweb
tausendfache geisterhafte Ahnungen in den Schattenwinkeln seines Geistes wach. Der Schauder, den ihm das bescherte, wurde bisweilen durchmischt mit ehrfurchtsvoller Scheu, mit einer geheimnisvollen Furcht, die möglicherweise mit jener Urangst schlechthin verwandt war, die der Mensch vor der Dunkelheit empfindet.
Wie er nun zum tropischen Vollmond hinaufblickte, überkam Morley auf einmal der unabweisbare Eindruck, dass die Mondscheibe an Umfang gewonnen hatte und heller strahlte als sonst – so wie es in Zeiten gewesen sein mochte, als die Erde und der Mond noch weitaus jünger waren als jetzt. Alsdann erfasste ihn eine quälende Verunsicherung, das unbeschreibliche Gefühl, einen Ortswechsel zu durchlaufen. Ein traumähnlicher Schleier legte sich über die gesamte, ihn umgebende Welt. Eine Woge äußerster Furcht riss ihn hinfort, und er gewahrte, dass er sich unwiderruflich von allem wegbewegte, das ihm bekannt und vertraut war. Doch die Furcht verging – denn das, was er zurückgelassen hatte, kam ihm auf einmal weit entfernt und unwirklich vor, während gleichzeitig eine längst vergessene Lebenswelt den Anstrich des Altvertrauten gewann oder zurückgewann.
Was, fragte er sich jetzt, hatte ihn bloß auf dieses sonderbare Schiff verschlagen? Schließlich schrieb man die Nacht, da Rhalu, die Mondgöttin, ihr Opfer verlangte. Und ihm selbst, Matla, kam eine entscheidende Rolle beim Opferritual zu. Er musste zurück im Tempel sein, ehe die Mondin ihren Zenit über dem Altarstein erklommen hatte. Und bis zur festgesetzten Zeit blieb nur noch eine einzige Stunde.
Er erhob sich und blickte suchend umher. Das Deck lag verlassen, denn in jenem ruhigen Hafen war eine Nachtwache überflüssig. Svensen und der Maat soffen sich zweifellos wie gewohnt die nötige Bettschwere an, ehe sie in ihre Kojen sanken. Die Matrosen spielten ihre endlosen Whist- und Pedro-Partien. Und Thorway hockte in seiner Kajüte und schrieb vermutlich an einer nicht minder endlosen Monografie über etruskische Grabstätten. Für Morley allerdings bedeutete die Existenz dieser Männer nicht mehr als eine ferne, halb verblasste Erinnerung.
Irgendwie sagte ihm diese Erinnerung, dass ein Boot existierte, mit dem er und Thorway auf die Insel übergesetzt hatten, und dass dieses Boot an der Bordwand des Schoners vertäut lag. So flink und geschmeidig wie ein Eingeborener glitt er über die Reling und pullte das Boot lautlos auf den Strand zu. Es waren wenig mehr als 100 Meter. Schon setzte er den Fuß auf den mondbeschienenen Sand.
Kurz darauf erstieg er den von Palmen dicht bewachsenen Hügel oberhalb des Ufers und hielt auf den Tempel zu. Die Luft wirkte durchsättigt von urzeitlicher Bruthitze, vom Duft riesiger Blumen und Farngewächse, die kein heutiger Botaniker kennt. Er sah sie neben seinem Pfad aufragen, sah ihre dichten, urtümlichen Wedel und Blütenblätter, obschon seit unzähligen Äonen keine derartigen Gebilde sich mehr dem Antlitz der Mondin entgegengehoben hatten. Dann erklomm er den Hügelrücken, der die kleine Insel überragte und von zwei Seiten aufs Meer hinausblickte.
Im milden Schein des Mondlichts sah er die endlosen Weiten einer sanft gewellten Ebene, ohne den kleinsten Meeresstreifen am Horizont, der ringsumher in den goldenen Feuern nachtheller Städte erglühte. Er kannte die Namen dieser Städte, und er erinnerte sich an das üppige Leben auf Mu, dessen Blüte seit einigen Jahren von atlantischen Erdbeben und vulkanischen Bodenaufwerfungen bedroht wurde. Diese, so glaubte man, verdankten sich dem Zorn Rhalus, jener Göttin, die über die planetarischen Gewalten herrschte – daher wurde in sämtlichen ihrer Tempel Menschenblut vergossen, um die rätselhafte Gottheit zu besänftigen.
Morley (oder Matla) hätte sich an tausenderlei Dinge erinnern können – hätte sich all die schlichten und zugleich sonderbaren Begebenheiten seines gesamten früheren Daseins auf Mu in Erinnerung rufen können, und ebenso die Überlieferungen und die Geschichte dieses gewaltigen Kontinents. Doch in seinen Gedanken blieb wenig Platz für irgendetwas, außer dem für diese Nacht anberaumten Schauspiel. Vor langer Zeit (wie lang genau, wusste er nicht) war er von seinem Volk für ein ebenso ehrenvolles wie grauenhaftes Schicksal auserkoren worden. Doch sein Mut hatte ihn zu früh verlassen, und er hatte die Flucht ergriffen, ehe die unvermeidliche Stunde heranrückte.
Doch heute Nacht würde er nicht fliehen. Eine heilige religiöse
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