Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
waren aufgerissen und im fahlen Mondlicht glitzerte der Schnee.
Wären sie nicht in dieser verzweifelten Situation, könnte sie die Nacht und die Ruhe genießen, so aber schlang Jenna ihre Arme um den Körper und spähte hinaus in eine gefrorene Welt. Sie spürte, wie Jeb hinter sie trat. Beide schwiegen. Sie genoss seine Nähe, sog seinen Geruch von Wald und Erde ein und wünschte sich einmal mehr, er würde sie umarmen. Aber er tat es nicht. Stand nur da und schaute ebenfalls in die Nacht hinaus.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte er leise.
»Ich bin noch zu aufgeregt.« Bitte leg deine Arme um mich.
»Geht mir auch so. Denkst du an das, was früher war?«
»Ja«, log sie. Nein! Ich denke an dich, an uns, Jeb!
Sie merkte, dass er zögerte. »Gibt es da jemanden, der auf dich wartet?«
Ihr Herz schlug schneller. Wie meinte er das? Konnte es doch sein… oder spürte er etwas, von dem sie selbst nichts ahnte?
Die wenigen Bilder, die ab und zu in ihrem Kopf auftauchten, gaben keine Antworten auf all die Fragen, die sie aufwühlten. Was auch immer gewesen war, es hatte in einem anderen Leben stattgefunden. Jetzt war sie hier, in einer einsamen Nacht, neben dem Jungen, in den sie sich auf einer einsamen, langen Wanderung verliebt hatte.
»Nein, es wartet niemand auf mich. Was ist mit dir?«, fragte sie vorsichtig und fürchtete sich gleichzeitig vor der Antwort. »Gibt es da jemanden, an den du dich erinnerst?«
»Ich erinnere mich an… nichts Schönes, verstehst du? Ich erinnere mich einfach nicht, ob es jemanden gegeben hat.« Er legte sanft seine Hände auf ihre Schultern.
Endlich. Sie lehnte sich so weit zurück, bis ihr Rücken beinahe seine Brust berührte. Es waren nur noch wenige Millimeter Platz. Mehr traute sie sich nicht.
»Siehst du den Stern am Himmel?«, fragte Jeb einfach nur.
Sie wollte nicken, aber dann fiel ihr ein, dass er das in der Dunkelheit nicht sehen konnte. »Ja, wie ein Versprechen funkelt er da oben. Die Tore können nicht mehr weit sein.«
Jeb sagte nichts.
Jenna drehte sich um und suchte in seinen braunen Augen nach einem Signal. Die kleine Narbe in seinem Mundwinkel erinnerte sie ganz tief drinnen an etwas, aber es entglitt ihr immer wieder.
Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und zog seinen Kopf zu sich herunter. Ihre Lippen trafen sich und Jenna verlor sich in diesem Moment. Es war wie nach Hause kommen, unendlich vertraut, und zum ersten Mal, seitdem sie hier aufgewacht war, fühlte sie sich geborgen und sicher.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten sie sich vorsichtig voneinander. Jeb blieb ruhig stehen, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und hob sein Gesicht dem Himmel entgegen.
»Was denkst du?«, fragte Jenna.
Er war umgeben von einer Aura aus Melancholie. »Ich muss an Tian denken. Wie er auf dem Grund einer Schlucht liegt, in einer so grausamen Welt.«
War es das?, fragte sie sich. Konnten sie nicht einmal einen kurzen Moment des Glücks genießen, ohne an den Tod zu denken?
»Meinst du, wir sehen Mary und León wieder?«
»Ich bin mir sicher, ja. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es etwas gibt, das León umbringen könnte.« Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und in diesem Moment blitzte in ihr die Erkenntnis auf, dass er es sich nicht erlaubte, tiefe Gefühle für sie zuzulassen. Er hatte ihr seit dem Kuss noch nicht in die Augen geschaut.
»Ja, wenn es einer schafft, dann León«, sprach sie sich selbst Mut zu. »Denkst du noch an Kathy?«
Sie spürte sein Zögern. Er überlegte, ob er ihr die Wahrheit sagen konnte. »Die ganze Zeit. Sie geht mir nicht aus dem Kopf. Ich habe Mitleid mit ihr, auch wenn sie es nicht verdient hat.«
»Kathy ist eine verlorene Seele.«
»Das ist sie. Irgendetwas ist mit ihr passiert. Sie hat sich verändert. Ich glaube, die Gefahr, die Hitze und die Anstrengung haben sie regelrecht verrückt werden lassen. Vielleicht als eine Art Selbstschutz vor diesem ganzen Irrsinn um uns herum.«
Jenna wollte noch immer ein Zeichen von ihm, aber der Moment war wieder einmal verflogen. Sie wusste, es würde jetzt nicht passieren. Es wird vielleicht nie passieren.
Vor lauter Enttäuschung und Selbstzweifel traten ihr Tränen in die Augen. Sie löste sich von Jeb. Auch wenn es dunkel war, wollte sie nicht vor ihm weinen. Denn dann würde sie womöglich erklären müssen, was in ihr vorging.
»Was ist?«, fragte Jeb und sah sie von der Seite an.
»Nichts«, log Jenna. »Ich bin nur
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