Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
behalten darf. Schlafsack, Wasser und Essen bleiben hier. Wir teilen das Zeug dann unter uns auf. Seid ihr damit einverstanden?«
Jenna nickte. Mary ebenso. Mischa zögerte, aber dann gab auch er seine Zustimmung. Lediglich León blieb regungslos. Schließlich wandte sich der tätowierte Junge flüsternd an ihn: »Jeb. Sie hat diese Chance nicht verdient. Tian hatte sie auch nicht.«
»Trotzdem, wir…«
León hob die Hand. »Schon gut, ich weiß, was du sagen willst, wir wären nicht besser als sie selbst. Aber vor dem Morgengrauen muss sie verschwunden sein, sonst überlege ich es mir noch einmal anders.«
León wandte sich an Kathy, die die Unterhaltung mit wachsendem Entsetzen verfolgt hatte. »Wenn es nach mir ginge, würdest du hier und jetzt sterben, aber ich respektiere die Entscheidung der Mehrheit. Sollten wir uns aber noch einmal begegnen, mache ich dich sofort alle. Hast du das verstanden?«
Kathy nickte hochmütig, der Anflug von Angst war schnell wieder aus ihrem Gesicht verschwunden. Jeb war erstaunt, mit welcher Schnelligkeit Kathy zwischen ihren Emotionen wechseln konnte. Vielleicht glaubte sie ja trotzdem, noch eine Chance zu haben. Aber Jeb wusste es besser. Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, dann stand er auf. »Es ist schon spät. Lasst uns nachschauen, ob der Stern mittlerweile irgendwo zu sehen ist.«
Froh über die Ablenkung stapften sie die Treppe ins Erdgeschoss hinauf und traten hinaus in die eisige Kälte der Nacht. Der Himmel war immer noch wolkenverhangen, aber zwischen einzelnen grauen Fetzen blitzte das Blauschwarz des Himmels auf.
Jeb drehte sich im Kreis. Er suchte den Himmel ab, auch die anderen reckten die Hälse. Minuten vergingen. Ihr Atem zerstob in weißen Wolken.
Plötzlich hörte er Mischas Stimme: »Da. Ich glaube, ich habe was gesehen.« Im schwachen Schein des Mondes war seine Hand nur als weißer Schatten auszumachen. Er deutete in den Himmel.
»Ja«, sagte Jenna. »Ich hab ihn auch gesehen.«
»Da ist er. Der Stern.« Mary trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
Deutlich leuchtend trat er hinter einer Wolke hervor, um kurz darauf wieder im Dunst zu verschwinden. Jeb prägte sich die Richtung ein. Nun wussten sie wieder, wohin sie marschieren mussten.
Unsere Reise ins Ungewisse geht weiter.
39.
Am Morgen hatte es wieder angefangen zu schneien. Es war Jebs Idee gewesen, das Kaufhaus nicht durch den Haupteingang, sondern durch eine Nebentür zu verlassen, um mögliche Feinde zu verwirren. Sie hatten eine endlose Diskussion geführt, wer es auf sie abgesehen haben könnte und ob diese schreienden Gestalten aus der Steppenlandschaft es bis in die jetzige Ruinenstadt schaffen könnten. Alle hatten eine andere Meinung und jeder eine andere Idee und sie waren irgendwann in dumpfes Schweigen verfallen. Es war immer noch kalt. Matschige Flocken fielen vom düsteren Himmel herab und hinterließen schmutzige Schlieren an Hauswänden, Straßen und auf ihrer Kleidung.
Jeb wusste, dass die Gruppe schlecht geschlafen hatte. Dementsprechend missmutig standen sie jetzt in der Kälte und versuchten, sich auf der Stelle tretend warm zu halten. Die Hoffnung, die Jeb noch in der Nacht beim Anblick des Sterns gespürt hatte, war angesichts der kommenden Strapazen verflogen.
Vor ihnen stand Kathy. Sie trug ihre dicke Jacke, hatte aber sonst nichts dabei, die Hände und Füße waren nicht mehr gefesselt und auch der Knebel war entfernt. Kathys roten Haare wehten im Wind, umspielten ihr hübsches, aber jetzt sehr blasses Gesicht mit den markanten grünen Augen.
»Geh«, befahl Jeb.
»Damit verurteilt ihr mich zum Tode.«
»Du hast nichts anderes verdient, aber wir lassen uns nicht zu Mördern machen.«
Mischa und Jenna nickten stumm, wagten aber nicht, sie anzusehen. León hingegen erwiderte ihren Blick, ohne eine Miene zu verziehen.
»Das werden wir ja noch sehen.« Kathy sah Jeb noch einmal an, dann wandte sie sich ab und ging davon. Kurz darauf hatte das Schneetreiben ihre schlanke Gestalt verschluckt.
Mischa schaute ihr nach, bis sie im stöbernden Weiß verschwunden war. Er empfand Schuld. War es richtig, was sie taten? Kathy hatte Tian getötet, die Entscheidung war also gerecht und ließ ihr dennoch eine Chance, die Tore zu erreichen. Trotzdem: Kathy war auf sich allein gestellt, unbewaffnet, ohne Nahrung und Wasser. Waren sie so viel besser als Kathy?
Hier gibt es Menschen, versuchte er, sich zu trösten. Vielleicht hilft ihr jemand.
Das war eine
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