Das Labyrinth erwacht: Thriller (German Edition)
wünschte sich so viel mehr als das. Was war nur los mit ihm? Keine Geste, keine Berührung, kein liebevolles Wort.
Jenna war verzweifelt. Sie drängte die Tränen mühsam zurück. Oh Jeb, merkst du denn nicht, was ich für dich empfinde? Mein Herz flattert, wenn ich in deiner Nähe bin, und ich träume von deinen Lippen.
Jeb, bitte dreh dich um. Sag etwas zu mir, umarme mich, halte mich, lass mich deinen Kuss spüren.
Aber er tat es nicht. Kurz darauf hörte Jenna an seinen ruhigen Atemzügen, dass er eingeschlafen war.
Endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen.
León hockte im Dunkel des Hauseingangs und starrte nach draußen, wo der Schnee im schwachen Lichtschein des Mondes glitzerte. Der Schneefall hatte nachgelassen und die graue Wolkendecke hatte sich verzogen, sodass ein Teil des Himmels sichtbar wurde. León kaute nachdenklich auf einem Stück Brot herum. Er dachte über das nach, was Mischa auf dem Rückweg gesagt hatte.
Ich lasse mir nicht auch noch meine Würde nehmen.
War vielleicht doch etwas daran? Was unterschied sie noch von instinktgetriebenen Tieren? Fressen, Töten, Überleben. Aber war sein Leben nicht schon immer so gewesen? Er bemühte sich wie schon so oft, Bilder aus seiner Erinnerung wachzurufen, aber alles blieb schemenhaft und verschwommen. Stimmen hörte er nur selten und dann waren es Flüche oder Befehle, Schimpfworte oder Racheschwüre.
Ist all das hier vielleicht eine Strafe für die Sünden, die ich begangen habe? Ich habe getötet. Einen Jungen. Ihm in die Brust geschossen. Ihm das Leben genommen. Ich habe es wahrscheinlich verdient, hier zu sein.
Aber was war mit den anderen? Büßten auch sie für die Dinge, die sie in ihrem früheren Leben getan hatten?
Jeb und Mischa vielleicht. Bei Kathy wäre das auf jeden Fall denkbar, aber was war mit Jenna und Mary? Und mit Tian? Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die drei zu etwas fähig waren, für das sie derart bestraft werden mussten.
Wenn ich eine Strafe erhalte, müsste ich dann nicht wissen, wofür ich bestraft werde? Weil ich ein Mörder bin.
Aber die anderen? Er sträubte sich gegen diesen Gedanken, doch es war die einzige logische Schlussfolgerung: War er ein Mörder unter Mördern? Wer bestrafte sie überhaupt? Und woher wusste derjenige, dass sie ihre gerechte Strafe erhielten?
Wir sind wie Ratten. Fressen, Beißen, Kämpfen – und vermutlich schaut uns jemand dabei zu.
Er ballte seine Hand zur Faust und streckte sie dem sternenlosen Himmel entgegen.
Wer immer du auch bist, wenn ich das hier überlebe, werde ich dich finden. Und töten.
Mary lag in ihrem Schlafsack. Sie war wach, obwohl sie so gerne schlafen würde. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zu Kathy.
Kathy war eine Mörderin. Sie hatte ein Messer und sie hatte das Seil durchschnitten. Wozu war sie noch fähig?
Sie wusste es nicht. Je stärker Mary sich bemühte, ein klares Bild von Kathy zu gewinnen, desto zielloser wurden ihre Gedanken. Kathys merkwürdiges Lächeln. Ihre Anbiederung bei den Jungs. Das Messer. Kathys spontane, wenn auch höchst seltene Hilfsbereitschaft. Ihre bedrohliche Geste nach Tians Tod.
Was mache ich bloß?
Kathy war gefährlich. Aber würden die anderen ihr überhaupt zuhören? Oder würden sie glauben, dass sie, die in jeder Hinsicht Schwächste in der Gruppe, vor lauter Angst und Erschöpfung Dinge sah, die es gar nicht gab? Sie schlichtweg für verrückt hielten?
Während sie noch mit sich haderte, übermannte sie schließlich die Erschöpfung und Mary fiel in einen unruhigen Schlaf voller dunkler und wirrer Träume.
38.
Die beiden machten sie wahnsinnig. Die eine zart und beschützenswert, die andere so treu und lieb wie ein dressierter Pudel. So eine Niederlage hatte Kathy sich noch nie eingestehen müssen – in Sachen Männer hatte sie sich bisher immer jeden nehmen können, den sie haben wollte. Wie reife Früchte waren ihr die Freunde ihrer Schwester oder ihrer Freundinnen vor die Füße gerollt. Sie hatte sie nur aufheben müssen, um sich mächtig und begehrenswert zu fühlen.
Jenna und Jeb waren seit ihrer Extratour auf der Ebene nicht mehr auseinanderzukriegen. Aber nicht wegen Jenna, sondern wegen Jebs unberechenbarem Temperament war es Kathy zu gefährlich, sich noch einmal an ihn ranzumachen. Tatsächlich hätte sie inzwischen große Lust, gegen Jeb um eines der Tore zu kämpfen. Sein Blick, wenn sie dann als Überraschung das Messer aus ihrem Hemdsaum ziehen
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