Das Labyrinth
Kriegsveteranen mit roten Armbinden patrouillierten über das Gelände. Viele trugen noch ihre Felduniformen und -mützen, einige hielten ein Radiogerät in der Hand, andere hatten sich Säcke mit Molotow-Cocktails über die Schulter geworfen. Überall hatte es geheißen, sie seien in Afghanistan zu Drogenabhängigen geworden und hätten den Krieg verloren. Dabei hatten sie ihre Kameraden im Staub von Khost und Kandahar verloren, sich schließlich über die Gebirgspässe zurück in die Heimat geschlagen, um diesen Weg nicht in einem Zinksarg zurücklegen zu müssen. Sie machten in dieser Nacht einen äußerst kompetenten Eindruck.
Max’ Haare und ein Ohr waren versengt, und er hatte die Jacke gewechselt, dennoch schien er das Feuer im Schlachthaus überraschend gut überstanden zu haben. Er blieb neben einigen Männern stehen, die sich vor den Stufen zum Weißen Haus um einen Priester versammelt hatten, der Kruzifixe segnete. Dann drehte er sich um und sah Arkadi.
Ein Lautsprecher verkündete: »Der Angriff steht unmittelbar bevor. Wie wir erfahren haben, ist der Strom ausgefallen. Löscht alle Lichter. Jeden, der eine Gasmaske bei sich hat, fordern wir auf, sie anzulegen. Allen anderen wird empfohlen, sich durch ein feuchtes Tuch zu schützen.«
Die Kerzen erloschen. In der plötzlichen Dunkelheit war zu hören, wie Tausende von Menschen ihre Gasmasken aufsetzten, sich Schals und Taschentücher vor das Gesicht banden. Ohne sich weiter stören zu lassen, murmelte der Priester seine Segnungen jetzt durch den Filtereinsatz seiner Gasmaske. Max war weg.
Der Lautsprecher sagte: »Wir bitten alle Fotografen, auf ihre Blitzlichter zu verzichten.« Aber dann trat jemand aus der Tür des Weißen Hauses, und sofort flammten Blitzlichter und Scheinwerfer auf. Arkadi sah Irina unter den Reportern am Treppenabsatz, dann Max, der zu ihr hochstieg.
Die Uferpromenade lag im Dunkeln, aber die Stufen waren erleuchtet wie eine Theaterszene. Überall Lichter und Journalisten, die sich auf italienisch, englisch, japanisch und deutsch miteinander verständigten. Das Komitee hatte keine offiziellen Presseausweise ausgegeben, aber die Reporter waren Profis, an chaotische Zustände gewöhnt wie die Russen an ihre allgegenwärtige Unordnung.
Max wurde auf halbem Weg von zwei Männern in Skimasken aufgehalten. Auch eine seiner Augenbrauen war zur Hälfte versengt, und sein Hals war auffallend gerötet, aber er schien völlig Herr der Lage zu sein. Kameramänner eilten links und rechts an ihm vorbei. Er zog die beiden Wachen mit einem Selbstvertrauen ins Gespräch, das sich jeder Lage anzupassen wußte.
»… daß ihr mir helfen könnt«, hörte Arkadi ihn sagen, als er in seine Nähe gelangt war. »Ich war auf dem Weg hierher, um meine Kollegen von Radio Liberty zu treffen, als ich von einem anderen Wagen von der Straße abgedrängt wurde. Bei der Explosion wurde ein Mann getötet, und ich bin verletzt worden.« Er drehte sich um und wies auf Arkadi. »Das ist der Fahrer des anderen Wagens. Er ist mir gefolgt.«
Die Wachen hatten Löcher in ihre wollenen Skimützen geschnitten, die nicht zu ihren seiden schimmernden Anzügen paßten. Der eine war ein Riese, der andere klein. Beide hielten Gewehre mit abgesägtem Lauf in der Hand und zielten in Arkadis Richtung. Er besaß nicht einmal mehr den Revolver seines Vaters und stand so exponiert, daß an einen Rückzug kaum zu denken war.
»Er gehört nicht zur Presse. Laßt euch seinen Ausweis zeigen«, sagte Arkadi.
Es war wie eine Szene in einem Film - regennaß glänzende Marmorstufen, Scheinwerfer, Leuchtspurgeschosse unter den Wolken, und Max hatte die Rolle des Regisseurs übernommen.
»Mein Ausweis ist im Wagen verbrannt. Aber zehn, zwölf Reporter hier können für mich bürgen. Und ich kenne diesen Mann. Sein Name ist Renko, einer von Oberstaatsanwalt Rodionows Leuten. Fragt ihn nach seinem Ausweis.«
Dunkle Augen starrten Arkadi an. Er mußte zugeben, daß Max ziemlich Herr der Lage war, sein Dienstausweis konnte ihm verhängnisvoll werden.
»Er lügt«, sagte Arkadi.
»Ist sein Wagen zu Schrott gefahren? Ist etwa sein Freund tot?« In dem Lärm auf den Stufen war Max’ Flüstern um so wirkungsvoller. »Renko ist ein gefährlicher Mann. Fragt ihn, ob er jemanden getötet hat oder nicht. Seht ihr, er kann es nicht leugnen.«
»Wer war dein Freund?« fragte der Kleinere der maskierten Männer. Auch wenn Arkadi das Gesicht nicht erkennen konnte, glaubte er doch, die Stimme
Weitere Kostenlose Bücher