Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
ja? Jetzt auf einmal, was?«
»Sei nicht so hart, Hài.«
»Ich bin nicht hart. Er ist hart. Zumindest war er es all die Jahre.«
»Ich glaube, er wird bald sterben«, sagt sie und wartet auf eine Reaktion.
Ich sage nichts, versuche, nicht einmal zu atmen.
»Er will dich noch mal sehen.«
Ich bleibe so ruhig, als wäre ich nicht da.
»Hài? Sag etwas.«
»Nein«, sage ich.
»Er liegt in der Charité.«
»Und du?«
»Was ich?«
»Besuchst du ihn?«
»Mich will er nicht sehen.« Sie lacht, jetzt weniger bitter als erleichtert.
»Das verstehe ich«, sage ich.
Ihr Lachen ist dahin. Ihr Ton wird forscher. »Was wolltest du eigentlich von mir?«
Ich überlege, was ich eigentlich von ihr wollte. Ich könnte ihr von meinem Traum erzählen, lasse es aber und frage: »Kennst du einen Hans-Joachim Mühlbauer?«
»Den Politiker?«
»Ja.«
»Was heißt kennen. Die Zeitungen sind voll von ihm.«
»Hat er nicht in deinem Wahlkreis für die SPD kandidiert?«
»Ich interessiere mich nicht für Politik.«
Klar, du interessierst dich für nichts anderes als für dich selbst , denke ich. Selbst wenn sie etwas wüsste, würde sie es mir nicht verraten.
Noch ehe ich etwas entgegnen kann, fragt sie: »Sonst noch was?«
»Nein. Nichts.«
ER
Wenn er an ihrem Bett saß, sprang ihre Schläfrigkeit auf ihn über. Er saß da und fühlte sich leblos, wie benommen. Er konnte nichts sagen, nur schauen. Er hielt ihre Hand, die immerzu kalt war und hatte das Gefühl, sie erkenne ihn gar nicht.
Auch sie hatte sich verändert. Sie war blass, fahl im Gesicht. Die wenigen Haarbüschel wirkten stumpf. Die Arme, der Hals, die Wangen schienen schmaler. Sie hatte abgenommen. Nur ihre Augen sahen größer und dunkler aus.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
Sie schwieg. Nie sagte sie etwas, als hätte sie das Sprechen verlernt, und blickte ihn an. Es kam ihm vor, als schaute sie durch ihn hindurch. Was sie sah, konnte er nur erahnen. Womöglich das, was sie krank gemacht hatte. Aus der Ärztin war nicht viel herauszubekommen, sie berief sich auf ihre ärztliche Schweigepflicht. Er hatte den Eindruck, dass sie ihn nicht mochte. Männer wie ihn generell nicht. Väter. Vielleicht, weil sie mit ihrem eigenen Vater schlechte Erfahrungen gemacht hat , dachte er.
Er versuchte, Kitty zu verstehen. Es misslang. Es hat mit der Vergangenheit zu tun , überlegte er, alles hat immer irgendwie mit der Vergangenheit zu tun. Mit der unmittelbaren und mit der weit zurückliegenden. Mit Kittys Vergangenheit. Mit ihrer Mutter, mit Hajo dem Stiefvater, mit Doreen. Mit dem Theater, den Proben und dem Mann, der sie enttäuscht haben musste.
Alles zusammen war zu viel für sie , dachte er. Alles zusammen hat sie verzweifeln lassen.
Er strich ihr über die Stirn. Er merkte, wie seine Hand ebenfalls kühl wurde. Ihre Kälte ging auf ihn über. Er konnte ihr nicht helfen. Er rief Doreen an und fragte, ob sie Kitty in der Klinik nicht besuchen wolle. Vielleicht könne sie ihr helfen. Zuerst wich sie aus, sagte, sie könne sich nicht vorstellen, dass Kitty sich über einen Besuch von ihr freuen würde. »Kitty ist mir zuletzt aus dem Weg gegangen«, sagte sie. »Unsere Freundschaft war nicht mehr die beste.«
Er ließ nicht locker. »Einen Versuch ist es wert«, sagte er.
Doreen ließ sich erweichen. »Aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass Sie auch da sind.«
Er saß noch immer auf dem Bett, als die Tür aufging. Als Doreen das Zimmer betrat, zuckte Kitty zusammen. Sie schrie und kniff dabei die Augen zu. So lange, bis Doreen wieder verschwunden war. Danach ging es ihr noch schlechter. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihr Blick war ständig unterwegs, als suche er irgendwo Halt.
Es war ein Fehler , dachte er.
»Sie wird nicht mehr kommen. Ich verspreche es dir.«
SIE
Der Anrufbeantworter blinkt und sendet unaufhörlich Signale. Rote Punkte aus einer anderen Welt. Von früher. Sie hört das Gerät nicht ab, starrt nur auf den leuchtenden Fleck, als könnte er sprechen. So lange, bis sie glaubt, dass er tatsächlich spricht. Sie hört zu, als könnten sich die blinkenden Zeichen in Buchstaben verwandeln, in Worte, Sätze, in einen Lebenszusammenhang.
»Geh nicht zu nah ran, sonst fällst du hinein«, sagt ihre Mutter.
Sie geht ganz nahe heran und fällt. Schlägt um sich, schwimmt. Das erste Mal geht sie nicht unter. Sie schwimmt, schluckt Wasser, hustet. Aber sie schwimmt. Damals verliebt sie sich in das Wasser. Damals weiß sie, wenn man um sich
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