Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
alle!«
Ich kann eine klammheimliche Freude nicht verhehlen.
3
Eine Sünde, so dick und so breit –
es stinkt, dass man die Engelchen zum Himmel hinausräuchern könnt! 5
Georg Büchner, Woyzeck
WIR
Wir sind verwirrt. Wir vermissen die Stimme des Täters. Warum äußert er sich nicht mehr? War es bisher nicht bei allen Morden so? Warum sagt er jetzt nichts? Wir erwarten es von ihm und fühlen uns getäuscht, sind auch ein wenig enttäuscht.
Wir glauben dem Täter dennoch auf der Spur zu sein. Uns entkommt er nicht, das Schwein, schwören wir uns. Uns führt er nicht an der Nase herum. Wir durchschauen ihn.
Gleichzeitig bemerken wir aber auch, dass wir einen Hauch von Verständnis für ihn aufbringen. Ohne es zu wollen. Wie würden wir an seiner Stelle reagieren? fragen wir uns. Wir erinnern uns an unseren eigenen Hass, unsere Aggression, an unsere Rachegelüste, die sich nicht entfalten dürfen, die ständig unterdrückt werden und dabei anschwellen und versteckt in uns, im hintersten Winkel unseres Seins, ihr heimliches Dasein fristen. Als würden sie nur darauf warten, dass sich die Gelegenheit ergibt, endlich aus der Verborgenheit auszubrechen und unser Handeln zu bestimmen. Die Scham vor dem Gefühl, das tief in uns wartet und um Aufmerksamkeit buhlt, lässt uns entrüstet den Täter verdammen. Dennoch ertappen wir uns dabei, wie wir Mitleid für ihn empfinden, wie wir seine Trauer verstehen. Bei diesen Gedanken zwingen wir uns erschrocken und uns selbst disziplinierend, an etwas anderes zu denken. Doch immer wieder kehren unsere Gedanken zurück zur Frage nach der Gerechtigkeit. Wir überlegen, was so viel Leid mit uns selbst anstellen würde. Auch wir würden Gerechtigkeit fordern. Auch unsere Wut, unsere Kränkung, unsere Trauer verlangt nach Vergeltung. Aber was, wenn die Schuld nicht justiziabel ist? Wenn sich für die Taten kein Richter findet? Wenn es nur ein bedauernswertes Opfer gibt und keine Täter, die man zur Verantwortung ziehen kann?
Es will uns nicht einleuchten, dass niemand für das ganze Leid verantwortlich sein soll. Das wollen wir nicht akzeptieren, ähnlich wie der Täter. Plötzlich besteht zwischen ihm und uns ein Band, das uns nicht mehr unvoreingenommen und vorbehaltlos urteilen lässt. Ist Selbstjustiz ein Mittel zum Zweck, wenn alle anderen Mittel versagen?, denken wir und verneinen im selben Moment, heftig den Kopf schüttelnd. Doch der Gedanke ist faszinierend. Allein der Mut zu handeln fehlt uns. Die Angst vor den Konsequenzen lässt uns zögern. Wir wissen aber auch: Wenn das Schicksal zulangt und uns niederschmetternde Schläge verpasst – uns erschüttert, wie es den Täter erschüttert hat –, besteht auch bei uns die Gefahr, dieser Versuchung zu erliegen. Wir sind nicht so gefestigt, wie wir meinen. Deshalb verbieten wir es uns umso entschlossener, mit dem Scheusal zu sympathisieren. Wir wollen ihn für seine Taten verabscheuen. Es gelingt nicht. Ein Teil von ihm ist auch in uns. Ein Teil, das unser Verständnis einfordert …
ICH
»Hallo, wer ist denn da?«
Schon nach dem ersten Wort ist mir klar, dass es ein Fehler war, sie angerufen zu haben. Eine Sentimentalität, ein Leichtsinn, eine unverzeihliche Schwäche. Der Tonfall in ihrer Stimme ist wie immer. Missbilligend, freudlos, empfindlich. Er macht mich aggressiv. Ich hätte es wissen müssen und verfluche mich wegen dieser Nachlässigkeit.
»Bist du immer noch im Kloster?« Mehr Vorwurf als Interesse.
»Nein. Ich bin in Berlin.«
»In Berlin? Was machst du in Berlin?« Gute Frage , denke ich. Was mache ich hier eigentlich?
»In meiner Vergangenheit kramen«, antworte ich, wobei ich sie spüren lasse, dass auch sie für diese Vergangenheit verantwortlich ist.
»Na, das trifft sich doch gut. Dann kannst du ja deinen Vater besuchen«, sagt sie abgeklärt.
»Warum sollte ich? Ich habe ihn noch nie besucht.«
»Traurig genug!« Beachtlich, wie viel Hass und Ablehnung allein mit dem Klang der Stimme ausgedrückt werden können.
»Du hast ihn auch noch nicht besucht«, sage ich, nicht minder vorwurfsvoll.
»Ich bin auch nicht sein Sohn.«
»Nein, nur seine Frau.«
Sie lacht bitter. »Ich war seine Frau, Hài. Wir sind geschieden. Seit über dreißig Jahren, falls du’s vergessen hast.«
Leider habe ich es nicht vergessen , denke ich und schweige.
»Er ist krank«, sagt sie, und es klingt, als wolle sie mich dafür verantwortlich machen.
»Woher weißt du das?«
»Er hat nach dir gefragt.«
»Ach
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