Das Lachen der Hyänen: Thriller (German Edition)
gewesen, vielleicht. Oder dass ich die Schmähungen und Demütigungen von damals nicht überwunden habe, stimmt’s?«
Sie reagiert nicht, kneift ein wenig die Augen zusammen, als wüsste sie nicht, was sie davon halten solle.
»Ich kann Ihnen das nicht übelnehmen. Sie müssen mir aber glauben, dass ich aufgrund meiner Vermutung nicht anders handeln kann.«
»Was vermuten Sie denn?«
»Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht sagen.« Noch immer halte ich ihre Finger mit beiden Händen umschlossen.
»Und?« Gotthoff wirkt durch meine Ansprache wenig beeindruckt.
Ich lasse ihre Hand los, greife in meine Jackentasche und hole Kleebergs Taschentuch heraus. Ich habe es ihm seit meinem Übelkeitsanfall im Weinbergspark nicht zurückgegeben.
»Können Sie überprüfen lassen, ob die Fingerabdrücke auf diesem Taschentuch identisch sind mit denen im Einweghandschuh?«
»Wem das Taschentuch gehört, wollen Sie mir natürlich nicht sagen?«
»Doch, aber nicht jetzt.«
»Also gut, geben Sie her.«
Mechthild Gotthoff steckt das Taschentuch ein.
»Was machen Sie eigentlich, wenn der Fall gelöst ist?« Ihre Stimme rutscht in eine Tonlage, die die Frage wie ein anrüchiges Angebot klingen lässt.
»Ich gehe zurück.«
»Zurück wohin?«
Ich zeige zur Tür. Sie lacht. Ich könnte mir gut vorstellen, weiter mit ihr zusammenzuarbeiten.
»Und Sie?«, frage ich.
»Was, ich?«
»Sind Sie verheiratet?«
»Ja, glücklich.« Sie sagt es trocken, auch eine Spur zu entschlossen.
»Schade.«
Sie wird rot im Gesicht, will aufstehen. Ich halte sie an ihrem Arm fest.
»Sie sind nicht gerne Polizistin, nicht wahr?«
»Wie kommen Sie darauf?!«
Die Überraschung, die Empörung wirken unecht.
»Das merkt man Ihnen an. Die Ermittlungen interessieren Sie kaum. Sie wären lieber zu Hause, würden ein Buch lesen, gemeinsam mit Freunden kochen, nicht wahr?«
Meine Hand berührt noch immer ihren Arm.
»Wenn das alles hier vorbei ist, höre ich auf.«
»Wie, Sie hören auf?«
»Ich lasse mich beurlauben. Auf unbestimmte Zeit. Mein Mann ist Professor an der Freien Universität, hier in Berlin. Nächstes Semester wechselt er an die Universität in Wien. Ich gehe mit ihm.«
Sie steht auf, entschuldigt sich für einen Moment und flüchtet auf die Toilette.
Ich zahle und gehe.
4
Wenn die Natur aus ist, das ist, wenn die Natur aus ist. Wenn die Welt so finster wird, dass man mit den Händen an ihr herumtappen muss, dass man meint, sie verrinnt wie Spinneweb. 6
Georg Büchner, Woyzeck
WIR
Wir sehen ein Licht am Ende des Tunnels. Wir reiben uns verwundert die Augen, weil wir etwas erkennen, was vorher unmöglich schien. Wir wollen es nicht glauben, fühlen uns getäuscht von unserer eigenen Wahrnehmung. Der, welcher die Beichte abnehmen soll, sündigt. Der Feuerwehrmann löscht nicht die Flammen, sondern legt den Brand. Der Arzt verabreicht die tödliche Spritze. Der Glaube tötet, Gott frevelt. Was für eine Welt! Sie gerät aus den Fugen. Unser Koordinatensystem ist auf den Kopf gestellt. Die Beine zeigen in den Himmel, anklagend wie erhobene Finger, auf einen armseligen Gott, der überfordert und unfähig scheint. Ein Versager voll Schuld und ohne Gnade. Keine Hoffnung, nirgends. Kein Wunder also, dass der Täter die Bestrafung selbst in die Hand nimmt. Und damit bei uns um Verständnis buhlt. Um Mitleid. Wir fühlen uns verlassen, allein und hilflos in unserem löchrigen Moralgeflecht.
Das Ende naht. Die Schlinge zieht sich zu. Wir wissen nicht, wohin wir uns wenden sollen.
Dennoch ahnen wir plötzlich: Das Unvorstellbare wird wahr. Es ist, was nicht sein darf.
ER
Das Finale rückt näher. Der Countdown läuft. Am Zirkus hinter dem Hauptbahnhof brennen die Glühbirnen. Der Schriftzug »Ramsani« leuchtet am Chapiteau. Obgleich heute der einzige vorstellungsfreie Tag ist. Bülent Ramsani, Zirkusbesitzer in dritter Generation, hat sofort Verständnis, dass sein Zelt für die Aufklärung eines Verbrechens herhalten soll. Ramsani widersetzt sich nur ungern der Polizei, das merkt er ihm sofort an. Das Ansehen eines Zirkusbesitzers bei der Exekutive ist ohnehin nicht das Beste. Ramsani steht permanent unter Beobachtung. Beschwerden von Anwohnern gehören zum Alltag. Mal ist es die Lautstärke, dann der Geruch der Tiere. Die Leute finden immer irgendetwas, ihnen das Leben schwerer zu machen, als es sein müsste. Das ist bei anderen Zirkussen genauso. Zirkusleute sind keine Sympathieträger. Außer bei Kindern.
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