Das Lachen und der Tod (German Edition)
Grossos traurig-aufmunternde Lächeln, ja, auch das des Kommandanten. Aber das Schönste, nämlich Helenas Engelslachen, hatte ich bei keiner anderen Frau mehr gesehen. So wie ich Schlomos schallendes Hofnarrengelächter bei keinem anderen Mann mehr zu hören bekam.
Wir hatten ihm ein würdiges Begräbnis zukommen lassen. Außerhalb des Lagers auf einer Birkenwaldlichtung. Gefangen genommene SS -Leute hackten mit Eispickeln ein Loch in den gefrorenen Boden. Ich hatte dem Befehlshaber der Roten Armee klargemacht, dass Schlomo Kommunist gewesen sei und Josef Stalin verehrt habe wie einen Vater. Ich war mir sicher, dass mein Freund das nicht schlimm gefunden hätte. Es wäre für ihn nur eine Bestätigung gewesen, dass ich meinen Sinn für Humor doch nicht ganz verloren hatte.
Es kamen viel mehr Trauergäste als erwartet. Aschenputtel war allerdings nicht darunter. Das Mädchen aus dem Bordell hatte wahrscheinlich mit einem der Transporte das Lager verlassen. Am Grab wurden zahlreiche Anekdoten erzählt. Ich musste darüber lachen, welch unglaublicher Schacherer Schlomo während seiner Zeit im Lager gewesen war. Wobei es mich nicht sonderlich wunderte: Nur einem echten Profi war es gegeben, die Melone und die Schuhe eines Charlie Chaplin aufzutreiben, und dann noch ein Jackett! Ich warf Stroh in das Grab und wickelte meinen Freund in ein weißes Laken. Ein letztes Mal umarmte ich seinen kalten, steifen Körper und ließ ihn mithilfe einiger Häftlinge an einem Seil in die Grube. Ich weinte nicht.
Ich wollte, dass gelacht wurde so wie sich das für das Begräbnis eines Mannes wie Schlomo gehörte. Wusste bloß nicht, wie ich das bewerkstelligen sollte. Ich sagte, niemand wünsche sich, der letzte Tote in einem Krieg zu sein. Schlomo habe dieses Schicksal nicht verdient, niemand habe das verdient. Und ich hätte das Gefühl, zu einem Gott zu sprechen, der sich von mir abgewandt hat. Dabei müsse er mich doch eigentlich hören können. Wenn er trotzdem immer noch der barmherzige, gerechte Gott des Guten sei, werde er sich dieses verlorenen Sohnes annehmen. Der jetzt bestimmt schon verstockt und verärgert vor der Himmelpforte stünde. »Aber der Schlomo, den wir gekannt haben«, schloss ich, »ist eine Bereicherung für jede Welt.«
Wir schaufelten das Grab zu. Dann goss ich eine halb leere Flasche Rotwein, die ich in der Unterkunft des Sonderkommandos gefunden hatte, darüber aus. Es war kein Burgunder, sondern ein Bordeaux. Und auch kein Grand Cru. Nicht einmal von 1935 war er, sondern von 1938. Dafür hatte ich mich still bei Schlomo entschuldigt.
Es verstrichen noch Monate, bis der Krieg endlich vorbei war. Und weitere Monate, bis ich nach zahlreichen Irrfahr ten durch ein chaotisches, zerstörtes Europa an einem Septemberabend in Amsterdam eintraf. Hinter dem Bahnhof hatte man die Güterabfertigung zur Meldestelle für Kriegsheimkehrer umfunktioniert. Dazu zählten Juden und Zwangsarbeiter ebenso wie niederländische SS -Leute in deutschen Diensten. Nach stundenlangem Warten war ich an der Reihe. Ein mürrischer Mitarbeiter notierte meinen Namen, stempelte ihn ab, bat mich zu unterschreiben und gab mir zwanzig Gulden mit auf den Weg.
Das war’s.
Ziellos lief ich durch die Gegend. Es nieselte, und die kaum erhellten Straßen, Stege, Brücken und Grachten waren mir vertraut und gleichzeitig fremd. Ich wusste schon damals, dass niemand verstehen würde, woher ich kam. Ich wollte nicht im Dunkeln nach Hause kommen und betrat eine heruntergekommene Pension in der Spuistraat. An der Rezeption saß ein alter Mann mit Schuppen auf den Schultern. Er hörte eine Schnulze. Ohne das Radio leiser zu stellen, notierte er meinen Namen und legte schweigend den Schlüssel auf den Tresen. »Erster Stock, Zimmer elf«, murmelte er.
Ich durfte weitergehen. Überall im Flur hingen vergilbte Ansichtskarten aus Zandvoort, Scheveningen und aus der Veluwe. Vermutlich von Familienangehörigen und nicht von Gästen.
Das mir zugewiesene Zimmer stank nach Pisse und altem Schweiß. Es war mir egal. Ich lächelte über die abblätternde Tapete, die Kakerlake im Waschbecken und die fleckige Matratze. Nach nicht einmal fünf Minuten war ich eingeschlafen.
Am nächsten Morgen lief ich zur Johannes Verhulststraat. Ich kam am Museumplein und dem Concertgebouw vorbei. Bestimmt wären Albert Kapinsky und die Musiker der Lagerkapelle hier noch einmal aufgetreten. Wie kam ich eigentlich ohne Schlüssel ins Haus? Indem ich ein Fenster im
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