Das Lachen und der Tod (German Edition)
Hände, doch es war bereits zu spät. Wie Raubtiere gingen die SS -Leute mit Knüppeln und Gewehrkolben auf sie los. Die Jungen schrien.
Jetzt, jetzt war unser Moment gekommen! Ich rannte zur Rückseite der Kohlenbaracke, Schlomo folgte mir auf dem Fuß. Dort befand sich das kaputte Fenster, das mir am Weihnachtsabend aufgefallen war. Ich wickelte den Stoffstreifen um meine Hand und schlug die Scherben aus dem Fensterrahmen. Die Glassplitter warf ich auf die Kohlen. Schlomo zwängte sich als Erster durch die Öffnung. Er kam heil hinein und ließ sich auf die Kohlen fallen. Ich folgte ihm etwas zu schnell. Eine Scherbe bohrte sich in meinen Oberschenkel, verursachte eine bestimmt fünf Zentimeter lange Schnittwunde, die zum Glück nicht sehr tief war. Schnell verband ich mein Bein mit dem restlichen Stoffstreifen.
Mit ein paar Kohlen färbte Schlomo Hände, Arme und Gesicht schwarz. Hinter dem Haufen begann er wie ein Wahn sinniger zu graben. Er legte sich auf den Rücken und bedeckte sich mit Kohlen wie Badegäste mit Sand. Ich tat es ihm nach und verschwand fast vollständig im Kohlenhaufen. Draußen fuhren Laster vor. Schreie, dann ein Schuss. Jemand rüttelte an der Tür. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Eine Entdeckung würde den sicheren Tod bedeuten. Es blieb bei dem Rütteln.
Die Laster fuhren wieder davon. Wir konnten hören, wie die übrigen Häftlinge zusammengetrieben und abgeführt wurden. Das Toben und Zetern ließ nach. Es wurde stiller, aber ich fühlte mich kein bisschen sicher. Wenn ich mich nicht täuschte, ging es Schlomo genauso. Das Weiß in seinen Augen bildete einen starken Kontrast zu der Schwärze seines Gesichts.
»Wo ist deine Frau?«, fragte er unvermittelt.
Ich erzählte ihm kurz, welche Entwicklung die merkwürdige Dreiecksbeziehung zwischen mir, Helena und dem Lagerkommandanten genommen hatte. Und dass er mich für später als Zeugen wollte.
»Der Teufel will jetzt auch noch deine Seele«, meinte Schlomo.
Ich schwieg. Aus der Ferne war ein einziger Schuss zu hören.
Nachts herrschte weiterhin Chaos im Lager. Manchmal hör ten wir Gewehrschüsse, allerdings nicht mehr oft. Ein Zug fuhr ab mit einem kurzen, durchdringenden Pfiff. Die Tempera turen sanken unter null. Wir hatten alle Kohlen dieser Welt, aber keine Wärme. Wir lagen dicht nebeneinander. Streckenweise döste ich ein. Obwohl die Beinwunde nicht so schlimm war, brannte sie. Und mein Rücken juckte. Das gehörte zum Heilungsprozess – trotzdem musste ich mich zwingen, nicht eine Kruste nach der anderen aufzukratzen.
Ich schrak hoch. Draußen wurde es bereits hell. Schlomo setzte sich auf.
»Ein Tag ist ein Tag«, sagte er lächelnd.
Es war still. Ich hörte nichts mehr, nur Vögel. Ungläubig lauschte ich weiter.
Spatzen und Amseln, sonst nichts.
Vorsichtig schaute ich durch das offene Fenster.
Niemand.
Ich kletterte hinaus, Schlomo hinterher. Wir schlichen zur Vorderseite der Baracke und riskierten einen vorsichtigen Blick auf die Lagerstraße. Dort lagen nach wie vor steif gefrorene Leichen in merkwürdig verkrümmten Haltungen. Aber es war still. Wir umarmten uns. Kurz danach ließ sich Schlomo langsam mit ausgebreiteten Armen nach hinten auf den kalten Boden fallen. Wir hatten es geschafft.
Wir jubelten nicht. Verblüfft liefen wir durch die Lagerstraßen, hörten erneut Gewehrschüsse, gefolgt von einer Maschinengewehrsalve. Wurde noch gekämpft?
Im »Dorf« begegneten wir den ersten Überlebenden beziehungsweise Halbtoten: kranken Häftlingen, deren Schatten breiter aussahen als sie selbst. Sie irrten ziellos umher.
Schlomo wollte allein sein. Wir verabredeten uns für später in seiner Baracke.
In diesem Moment konnte ich nur an Helena denken. Wo war sie? Bei der Familie des Kommandanten? Ich traute dem Kerl nicht über den Weg. Oder war sie mit auf einen Transport geschickt worden oder gar hiergeblieben? In diesem Fall würde ich sie finden.
Baracke 24 lag verlassen da. Meine Schritte im Gang hallten noch lauter als sonst. Ich ging in den Keller, in den Waschraum. Es gab Wasser. Ich zog Jacke, Hemd und Hose aus und spülte den schwarzen Kohlenstaub so gut es ging ab. Den Verband an meinem Bein ließ ich, wo er war. Meine Kleider klopfte ich aus. Als ich wieder draußen stand, hörte ich auf einmal Musik. Sie kam aus einem offenen Fenster des Übungsraums. Es war dieselbe Geige, die ich in meinen dunkelsten Stunden damals in der Fleckfieberbaracke hörte. Sombre Dimanche, schöner und wehmütiger
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