Das Lächeln der Kriegerin
schon stürmte Lothiel in vollem Galopp an dem Freiherrn vorbei.
»Ihr werdet verlieren, du und dein Bleih!«, schrie sie Selldur hinterher und trieb Carroch weiter an.
Schnell hatte sie den Jungen überholt. Keiner ihrer Begleiter konnte ihr folgen. Geschickt duckte sie sich unter den Ästen weg. Carroch brauchte kaum eine Anleitung, um einen Weg zwischen den Bäumen zu finden.
»Erste!«, wollte sie rufen, als sie auf die Lichtung schoss, doch ihr Jubelschrei blieb ihr in der Kehle stecken.
Das Haus war niedergebrannt. Die Trümmer schwelten noch.
SPUREN
Naneth’ Leiche hatte man auf das Grausamste verstümmelt. Sie lag einige Meter vor dem verbrannten Haus, unweit des toten Adar, dem man den Kopf abgeschlagen hatte. Auf dem Weg zwischen den Feldern hatte ein Pfeil den kleinen Hu niedergestreckt. Die Kadaver der Tiere, die nicht im Stall verbrannt waren, lagen auf dem zertrampelten Boden.
Lothiel kniete vor ihren toten Eltern und starrte stumm vor sich hin. Ihr waren keine Tränen geblieben. Sie nahm von ihrer Umwelt nichts mehr wahr, ahnte nur, dass Selldur hinter ihr stand.
Sie spürte eine Hand auf der Schulter. Wie von Ferne hörte sie Magors Stimme.
»Wir können hier nicht bleiben.«
Sie schüttelte sie ab.
»Wir müssen von hier fort.«
Sie wollte es nicht hören.
»Sie sind noch in der Nähe.«
Wer? Wer war noch in der Nähe? Die Mörder ihrer Eltern? »Warum glaubt Ihr das?«
»Der Brand kann erst gestern Abend gelegt worden sein. Außerdem fand ich Spuren, die höchstens einen Tag alt sind.«
»Wo führen sie hin?«
»Ein paar Schritte unterhalb des Baches geht ein schma ler Weg nach Osten. Den haben sie genommen.«
Lothiel erhob sich. Sie sah niemanden an. Ihr Blick richtete sich in die Ferne. »Habt Ihr Rochon gefunden?«
»Nein. Hier gibt es keine dritte Leiche.«
»Gut.« Lothiel schaute ihre Begleiter noch immer nicht an. »Dies war das Ziel meines Weges. Ihr habt mir bis hierhin beigestanden. Mehr kann ich nicht von Euch ver langen. Doch um eines bitte ich Euch noch. Helft mir, mei ne Eltern zu bestatten.«
»Natürlich«, antwortete Selldur sofort.
Magor schwieg.
Lothiel wandte sich ihm zu. »Ihr helft mir nicht?«
»Was hast du danach vor?«
»Ich finde meinen Weg.«
Magor betrachtete sie lange. Sie hielt seinem Blick stand.
»Du hast ihn schon gefunden«, sagte er schließlich. »Welcher ist es?«
»Ich werde den Tod meiner Eltern rächen. Sollte Rochon in den Händen der Mörder sein, werde ich ihn befreien.«
»Du wirst selbst den Tod finden!«, rief Selldur.
»Dann soll es so sein.«
»Du könntest mit mir zurückkehren. Mein Vater würde dich sicher bei uns aufnehmen.«
»Auch dort ist Krieg. Auch dort träfe ich die Mörder meiner Eltern.«
»Dann gehen wir woanders hin. Magor, helft mir doch!«
Der Freiherr schwieg.
»Du kannst mich nicht aufhalten, Selldur«, sagte Lothiel. »Stell dich mir nicht in den Weg!«
Der drohende Unterton verfehlte seine Wirkung nicht. Selldur senkte den Kopf und schwieg. Als er wieder aufschaute, sah er Lothiel direkt in die Augen. »Dann werde ich mit dir gehen.«
»Das musst du nicht.«
»Ich will es so.«
Magor betrachtete Lothiel noch immer. Auf seinen Lippen zeigte sich ein Lächeln. »Nun endlich weiß ich, warum ich diesen Weg gehen musste. Von jetzt an soll mein Platz wirklich an deiner Seite sein, denn er ist mindestens ebenso gut wie der auf den Mauern von Arminas.«
Lothiel kniete an der Westseite ihres zerstörten Heims vor dem Grab ihrer Eltern. Was die Mörder nicht geplündert hatten, war mit dem Haus verbrannt. So nahmen Adar und Naneth nur den kleinen Jagdbogen mit sich, den die Toch ter einst unter Anleitung ihres Vaters geschnitzt hatte.
Lothiel erhob sich. Sie griff nach dem Bogen der Köni gin, der neben ihr im Gras lag. »Nun sollst du, Leithian, mein Jagdbogen sein!«
Sie warf einen letzten Blick auf den unscheinbaren Grabhügel, neben dem auch Hu seine letzte Ruhe gefunden hatte. Stumm bestieg sie Carroch und ritt zum nordöstlichen Rand der Lichtung. Magor und Selldur folgten ihr.
Der schmale Weg, auf dem kaum einmal zwei Pferde nebeneinander Platz fanden, führte erst ein Stück nach Nordosten, dann in einem weiten Bogen nach Waldruh. Die Bauern nutzten ihn, um ihre Schweine in den Wald zu treiben, doch selten kam ein Wanderer bis hier herauf. Lothiel war ihn oft ein Stück hinuntergegangen. Manchmal allein, wenn sie den Wald erkundete. Mit Adar, um weiter entfernt nach Holz
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