Das Lächeln der Kriegerin
schroff oder gar nicht beantwortet worden waren. Bald hatte er es aufgegeben und sich in Selbstgespräche vertieft, bis er schließlich nur noch still hinter ihnen her geritten war.
Glücklicherweise würde sie Magors Gesellschaft nur noch einige Tage erdulden müssen. Das war beruhigend. Lothiel schloss die Augen.
Die Tür knarrte leise. Ein schwacher Lichtschein drang vom Gang herein und rahmte eine Gestalt. Einen Mann. Lothiel hielt den Atem an. Der Eindringling tastete sich behutsam zum Fenster, wo ein Tisch und ein kleiner Hocker standen.
Die Tasche! Der Bogen!
Alles andere hatte sie bei sich. Sie versuchte, kein Geräusch zu verursachen, als sie zwischen den Kleidern nach Ostwens Dolch suchte. Sie zog ihn aus der Scheide. Lothiel atmete tief ein und hoffte, ihr Herzschlag würde sich beruhigen. Dann schlich sie sich an den Mann heran. Er wühlte bereits in ihrer Tasche, als sie ihm von hinten die Klinge an den Hals hielt.
»Bitte, lasst mich am Leben, Herrin«, flüsterte Geron und ließ die Tasche fallen. Er zitterte am ganzen Körper.
Lothiels Herz pochte jetzt den Takt ihrer Wut. »Verschwinde! Für Schurken wie dich habe ich also mein Leben aufs Spiel gesetzt!« Sie gab dem Wirt einen Tritt und er floh auf den Gang hinaus.
Lothiel warf sich aufs Bett. Hatten es solche Kerle überhaupt verdient, dass sie diesen beschwerlichen Weg gegangen war? Tapfere Männer wie Ellian und Rochon opferten sich, während so viele Feiglinge und Schurken nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren.
Wenigstens Geron hatte sie eine Lektion erteilt. Mit einem Lächeln schlief sie ein.
Als sie erwachte, waren die Wut und das Lächeln nur noch eine schwache Erinnerung. Sie wollte vor allem fort von hier. Obwohl sich der anbrechende Tag erst in einem leichten Dämmern zeigte, zog Lothiel sich an und weckte ihre Begleiter. Magor erklärte sich einverstanden, sofort aufzubrechen und das Frühstück erst unterwegs einzunehmen. Sie trugen ja mehr als ausreichend Vorräte bei sich. Selldur war anzusehen, dass er es nicht eilig hatte, wieder auf dem Pferd zu sitzen. Ihr nächtliches Erlebnis behielt Lothiel für sich.
In der Gaststube trafen sie auf Geron, der sich bei ihrem Anblick in die Küche zurückzog und einen Knecht vorschickte, der versprach, die Pferde bereit zu machen. Sie erwarteten ihn auf der Straße.
Die ersten Stunden hielten sie sich noch auf der Südstraße. Dann – Lothiel konnte nicht erkennen, woran er sich orientierte – verließ Magor die Straße Richtung Osten und sie ritten den restlichen Tag durch eine Graslandschaft, die nur vereinzelt von Bäumen und Sträuchern bestanden war. Nur fern im Norden war ein Wald zu erkennen. Im Nordosten sah man die Ausläufer der Smahiberge. Wie am Vortag ritten sie schweigsam, so als sei jeder für sich unterwegs.
Am Abend rasteten sie bei einer kleinen Baumgruppe. Der lange Ritt und die wenigen Stunden Schlaf in der Nacht zuvor hatten Lothiel müde gemacht. Sie wickelte sich gerade in ihre Decken, da hörte sie ein unterdrücktes Schluchzen. Es war Selldur. Lothiel drehte sich einige Ma le hin und her. Wie sollte sie sich verhalten? Konnte sie sein Weinen ignorieren? Sie seufzte und kroch zu ihm hin.
»Was ist mit dir?«
»Nichts.«
»Warum weinst du dann?«
»Entschuldigt, Herrin, ich wollte Euch nicht belästigen.«
»Lass das! Es sind nur die Kleider, die ich trage. Ich bin die Tochter eines Bauern. Wir sind vom gleichen Stand.«
»Aber die Königin gab mich Euch zu Diensten.« Selldur wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, doch es flossen sofort neue nach.
»Du kannst uns auf dem Hof sicher eine große Hilfe sein. Doch ich bin nur ein einfaches junges Mädchen.«
»Aber Ihr wirkt schon sehr ernst und erwachsen.«
Noch vor wenigen Tagen hätten diese Worte Lothiel geschmeichelt. Jetzt trugen sie einen bitteren Beigeschmack. »Was bedrückt dich also?«
»Ich weiß nicht, wie Ihr das aushaltet. Zwei Tage lang sprecht Ihr kein Wort. Dafür bin ich nicht gemacht. Der Gutsverwalter kam zu uns auf den Hof und sagte, er habe mich für eine wichtige Aufgabe gewählt. Ich sollte eine große Reise antreten und musste mich von den Meinen trennen. Vater meinte, so käme ich ein Stück in die Welt hinaus. Und doch weiß ich nicht, ob ich ihn oder meine Mutter, die Schwester und die Brüder jemals wiedersehe. Aber ich tröstete mich. ›Sei ein Mann‹, sagte ich mir. ›Nun erlebst du endlich mal ein Abenteuer‹, sagte ich mir. ›Das Mädchen, das Laindor
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