Das Lächeln der Sterne
Sein Leben war typisch für das Leben vieler Männer seiner Generation verlaufen. Er war nicht zum College gegangen, sondern hatte ein Handwerk gelernt und dann vierzig Jahre in einer Möbelfabrik gearbeitet. Dort bekam er einen Stundenlohn, der sich jedes Jahr im Januar um wenige Pennys erhöhte. Er trug stets einen Filzhut, auch in den warmen Sommermonaten, und er hatte immer seine Brotdose mit den quietschenden Scharnieren dabei. Jeden Morgen verließ er pünktlich um Viertel vor sieben das Haus, um die anderthalb Meilen zur Arbeit zu gehen.
Abends nach dem Essen zog er sich eine Wolljacke über sein langärmeliges Hemd. Wegen der zerknitterten Hosen sah er immer etwas unordentlich aus, was sich mit den Jahren noch verstärkte, besonders nach dem Tod seiner Frau. Er saß gern in seinem Lehnstuhl, im gelben Lichtkegel der Lampe, und las Wildwestromane oder Bücher über den Zweiten Weltkrieg. In den letzten Jahren, bevor er mehrere Schlaganfälle erlitt, sah er wegen seiner altmodischen Brille, der buschigen Augenbrauen und der tiefen Falten im Gesicht eher wie ein pensionierter College-Professor aus und weniger wie der Fabrikarbeiter, der er gewesen war.
Am beeindruckendsten war die große innere Ruhe, die er besaß, und Adrienne hatte sich oft gewünscht, ihm in diesem Punkt ähnlicher zu sein. Er wäre ihrer Meinung nach ein guter Priester oder Geistlicher geworden. Den Menschen, die mit ihm zu tun hatten, vermittelte er den Eindruck, dass er mit sich und der Welt im Reinen war. Er war ein guter Zuhörer – er stützte das Kinn in die Hand und ließ den Blick nie von dem Menschen weichen, der sich ihm anvertraute. In seiner Miene spiegelten sich Mitgefühl und Geduld, Freude und Traurigkeit. Adrienne wünschte sich, dass er in dieser Zeit für Amanda da sein könnte. Auch er hatte den Ehepartner verloren, und Adrienne glaubte, Amanda würde ihn an sich heranlassen, ihm zuhören, und sei es nur, weil er wusste, wie hart ein solches Schicksal war.
Adrienne hatte sanft versucht, mit Amanda über die schwierige Zeit zu sprechen, die sie durchmachte, doch ihre Tochter war vom Tisch aufgestanden und hatte verärgert den Kopf geschüttelt.
»Es ist nicht wie bei dir und Dad«, hatte sie gesagt. »Ihr konntet keine Lösung für eure Probleme finden, deswegen habt ihr euch scheiden lassen. Aber ich habe Brent geliebt! Ich werde ihn immer lieben, und er ist mir genommen worden. Du weißt gar nicht, wie es ist, wenn einem so etwas passiert.«
Adrienne hatte nichts darauf erwidert, doch als Amanda aus dem Zimmer gegangen war, hatte Adrienne den Kopf gesenkt und ein einziges Wort geflüstert.
Rodanthe.
Adrienne empfand Mitleid mit ihrer Tochter, und gleichzeitig war sie besorgt um deren Kinder. Max war sieben und Greg vier, und in den vergangenen acht Monaten hatte Adrienne deutliche Veränderungen im Verhalten der Kinder beobachtet. Beide waren ungewöhnlich verschlossen und still. Im Herbst hatten sie nicht am Fußballtraining teilgenommen, und Max weinte jeden Morgen, wenn er in die Vorschule gehen sollte, obwohl er dort eigentlich gut zurechtkam. Greg nässte wieder das Bett ein und bekam bei der kleinsten Verärgerung einen Wutanfall. Einige dieser Veränderungen, das war Adrienne klar, hatten mit dem Tod des Vaters zu tun, aber sie waren auch eine Reaktion auf Amandas Verhalten, das sich seit dem letzten Frühjahr stark gewandelt hatte.
Weil Amanda durch die Lebensversicherung abgesichert war, brauchte sie nicht zu arbeiten. Aber Adrienne war in den ersten zwei Monaten nach Brents Tod trotzdem jeden Tag bei Amanda gewesen, hatte dafür gesorgt, dass die Rechnungen bezahlt wurden und die Kinder zu essen bekamen. Währenddessen hatte sich Amanda in ihr Zimmer zurückgezogen, wo sie entweder schlief oder weinend wach lag. Adrienne nahm Amanda in den Arm, wenn ihre Tochter es brauchte, sie hörte zu, wenn Amanda sich aussprechen wollte, und sie bestand darauf, dass ihre Tochter wenigstens ein oder zwei Stunden am Tag nach draußen ging. Sie hoffte, an der frischen Luft würde Amanda erkennen, dass auch für sie das Leben weiterging.
Adrienne war voller Hoffnung gewesen, dass ihre Tochter langsam über den Verlust hinwegkam. Als es Sommer wurde, hatte Amanda wieder gelächelt, erst selten, dann immer öfter. Sie machte einige Stadtbummel und begleitete die Kinder ab und zu auf die Rollschuhbahn, und allmählich zog sich Adrienne von den Aufgaben zurück, die sie bis dahin für ihre Tochter erledigt hatte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher