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Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Titel: Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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im Leben und das Leben im Tod.»
    Diese makellose, geschmeidige Stimme, die mitten in einem Song zum gesprochenen Wort wechseln konnte, ohne aus dem Rhythmus zu kommen. Merrily versuchte, das alles mit den irren Geschichten in Verbindung zu bringen: den Damenbinden hinter den Miserikordien, den nackten Körpern im Efeu bei den Gräbern, der mit Schamhaar angereicherten Kalkmischung. Aus irgendeinem Grund konnte nichts davon Mrs. Peppers Erscheinung etwas anhaben.
    «Ich halte Ihnen jetzt einen Vortrag – einen kurzen, keine Sorge. Es passiert Folgendes: Nach ein oder zwei Jahrhunderten stirbt das Herz des Baumes langsam ab, weshalb so viele Eiben hohl sind. Aber die äußere Schicht wächst einfach weiter um den Hohlraum herum, und der Baum wird dicker. Wenn ein Ast abbricht, setzen die Selbstheilungskräfte der Eibe ein und sie treibt von Neuem aus. Und so geht es manchmal jahrtausendelang.»
    «Unsterblichkeit», sagte Jon. «Phantastisch.»
    Der Himmel war jetzt von einem tiefen, weichen Grau, vor dem Mrs. Pepper geradezu leuchtete. In ihrem geflochtenen Haar schimmerten mehrere Farben, ihre Zähne waren spitz und die Augen verblüffend türkisgrün.
    «Aber am raffiniertesten an der Eibe ist, dass der Tod des Kernholzes die Ringe vernichtet, sodass man nicht mehr bestimmen kann, wie alt der Baum tatsächlich ist. Dadurch wird die Eibe vollkommen alterslos … ein Baum genau nach meinem Geschmack.»
    Sie breitete die Arme aus, umarmte die Eibe, legte die Zunge an den schrundigen Baumstamm, und Merrily dachte,
bitte verschone uns mit diesem Theater
 …
    … Als Belladonna anfing, die Rinde der Eibe abzulecken. Es war ein langsames, intensives, feuchtes Schlecken.
    «Um Himmels willen!», rief Merrily. «Das ist gif–»
    Bell Pepper sah Merrily über die Schulter direkt in die Augen, die Zunge über die Oberlippe gelegt, bevor sie sie langsam wieder zwischen ihre kleinen spitzen Zähne zog.
    «Ein Landkind, hm?»
    «Ich weiß einfach, dass sie sehr giftig sind», sagte Merrily. «Für Tiere jedenfalls. Kühe und Pferde können sogar sterben. Das soll ein weiterer Grund dafür sein, dass Eiben auf Friedhöfe gepflanzt werden – damit die Bauern ihr Vieh dort weghielten.»
    «Der Brauch ist älter als die Landwirtschaft, meine Liebe – das weiß sogar Jonathan.»
    Mrs. Pepper neigte den Kopf zur Seite und küsste den Baum mit offenem Mund. Dann wandte sie sich lächelnd zu Merrily um.
    «Und wer sind Sie, Schätzchen? Sie sind doch nicht die Frau?»
    «Äh … das ist Mary», sagte Jon Scole. «Mary, das ist … Bell.»
    «Hallo», sagte Merrily. «Bell.»
    Bell sah ihn ärgerlich an. «Jonathan, vielleicht hast du mich nicht verstanden. Ich sagte, ist das die Frau?»
    Jon Scole wirkte einen Moment lang beunruhigt. Er sah auf den Fuß des Baumes und hackte mit seinem Turnschuh in den Staub, die Hände in den Taschen seiner Bikerjacke. Als er aufsah, war sein altes Lächeln wieder da. Er beachtete Merrily nicht weiter und strahlte Bell Pepper an.
    «Ja», sagte er. «Richtig. Das ist die Frau.»
     
    Ein Gesicht, das in einer ohnehin schon nervenaufreibenden Nacht von kreisendem Blaulicht beleuchtet wurde … es war nur ein Bild. Diese Begegnung an einem milden, wolkigen Nachmittag war etwas ganz anderes. Vor allem, wenn sich die Person, zu der das Gesicht gehörte – diese Ikone der Punk- und Gothic-Szene – plötzlich vollkommen entsprechend der Legende verhielt.
    Sie leckte an der Eibe, du meine Güte!
    Merrily versuchte, es einfach abzutun – vielleicht bekam Belladonna im Moment bloß nicht genug Aufmerksamkeit, vielleicht war das die Erklärung für das Ganze –, deshalb bekam sie zuerst nicht mit, was Jon Scole tat.
    Ist das die Frau?
    «Oh, Scheiße, das ist echt unfair», sagte Jon. «Mary hat keinen Schimmer, wovon wir reden. Ich hab ihr von dem Ganzen noch gar nichts erzählt. Wir sind einfach hergekommen und ich – tut mir leid, Mary, ich wollte das später noch erklären. Ich mein, ich weiß, dass Sie das nicht einfach so für jeden machen und dass es nicht um Geld geht, aber ich dachte, vielleicht machen sie dieses Mal eine Ausnahme?»
    Merrily schwieg. Jon Scole warf seine strohblonden Locken zurück und legte seine Hände zusammen, als wollte er beten. Er sah Merrily mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
    «Bells Haus – direkt da unten.» Er zeigte mit dem Daumen in Richtung des Flusses. «Ich wollte Sie bitten, es sich mal anzusehen. Festzustellen, ob Sie irgendwas

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