Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
Pepper zu bekommen (und dann?), oder sie trat den schmachvollen Rückzug an und legte die Sache dem Beirat für spirituelle Grenzfragen dar, damit der sie kurzerhand ablehnte, und ließ sich offiziell tadeln, weil sie die anderen nicht früher einbezogen hatte.
Wie zum Teufel war sie eigentlich in diese Situation geraten?
Vielleicht beantwortete die Tüte auf dem Beifahrersitz diese Frage. Merrily nahm sie zur Hand und schüttelte das Buch heraus:
Das Alltagsleben des Mittelalters in Bildern
. Was wollte ein so gutinformierter Junge wie Robbie Walsh überhaupt mit einem Bilderbuch?
Sie legte das Buch auf den Beifahrersitz und blätterte es in der Erwartung comicartiger künstlerischer Impressionen durch. Tatsächlich aber waren die meisten Illustrationen alte Stiche, Kirchenfenster oder die Steinreliefs alter Gräber. Das ergab schon eher Sinn – natürlich war Robbie auf der Suche nach möglichst authentischen Abbildungen des mittelalterlichen Lebens gewesen. Das war wichtig für ihn, um die Straßen, durch die er ging, mit dem Blick des Mittelalters sehen zu können.
Aber
warum
war das so wichtig für ihn gewesen? Warum hatte sich dieser offensichtlich sympathische Junge in die Vergangenheit zurückziehen müssen? Was hatte die Gegenwart so unerträglich gemacht?
Merrily hatte das Buch wegen der Seite gekauft, die in Robbies Exemplar herausgerissen worden war. Was hatte auf der gegenüberliegenden Seite gestanden? Hexenprobe? War es das gewesen? Sie blätterte zu dem Kapitel mit der Überschrift «Verbrechen und Strafen im Mittelalter».
Auf Seite einundneunzig war ein düsterer Holzschnitt zu sehen, der einen am Galgen hängenden Mann zeigte. Um ihn herum hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die ihm beim Sterben zusah. Einige schienen zu lächeln.
Merrily starrte die Abbildung an. Sie erinnerte sich, dass die Seite in Robbies Ausgabe sehr sorgfältig entfernt worden war. Auf der nächsten Seite, Seite zweiundneunzig, war die Schwarzweißfotografie eines hölzernen Galgens aus irgendeinem Museum zu sehen. Sofort hatte Merrily Bernie Dunmores Worte im Ohr, der ihr erzählt hatte, wie man mit Bell Pepper in vergangenen Zeiten verfahren wäre.
Dummerweise ist unsere alte Hinrichtungsstätte im Plascarreg. Wehe, Sie sehen da jetzt irgendeinen Zusammenhang.
Das hatte sie nicht vor. Wahrscheinlich war es auch nicht relevant, aber erwähnt werden sollte es doch, also rief sie Mumford an.
Es ging niemand dran. Sie versuchte es beim Bischof, den sie schließlich zu Hause erreichte. Er schien sogar erleichtert, von ihr zu hören.
«Ich bin heute Nacht aufgewacht und war sehr beunruhigt wegen dieser ganzen Sache, Merrily. Ich habe mich gefragt, wo ich Sie da mit hineinziehe. Ich weiß gar nicht, was für eine Lösung ich überhaupt von Ihnen erwarte. Eine einzige große amorphe Falschheit. Aberwitzig.»
«‹Eine einzige große amorphe Falschheit.› Ich liebe es, mit einem erfahrenen Metaphysiker zu sprechen.»
«Packen Sie Ihre Sachen zusammen und kommen Sie nach Hause. Es war dumm von mir, auch nur –»
«Wir können Dennis Beckett jetzt nicht enttäuschen. Bernie … ich höre immer wieder von der
Palmers’ Guild
. Was hat es damit auf sich?»
«In welchem Zusammenhang?»
«Erinnern Sie sich, dass der Bürgermeister uns von der Stiftung erzählt hat, die Mrs. Pepper gegründet hat, um Ludlows historische Gebäude zu erhalten? Offenbar hat sie diese Stiftung nach der
Palmers’ Guild
benannt, die das Haus gebaut haben könnte, das ursprünglich dort stand, wo sie jetzt wohnt.»
«In der Kirche gibt es ein Fenster … Ich bin kein Experte in diesen Dingen, Merrily, aber an der
Palmers’ Guild
kommt man in Ludlow kaum vorbei. Sie waren wahrscheinlich die ersten Gebäudeschützer Ludlows – haben auf jeden Fall dafür gesorgt, dass die Kirche noch steht. Angefangen haben sie, glaube ich, im dreizehnten Jahrhundert, als die Stadt durch das Wollgewerbe reich geworden ist. Gilden haben reichen Händlern eine Art pseudoaristokratischer Stellung verliehen.»
«Die haben in Grundstücke investiert.»
«In mehrere hundert Grundstücke gleichzeitig. Ein Teil der Einkünfte kam den Mitgliedern zugute, deren Geschäfte schlecht liefen. Es war eine Art Genossenschaft.»
«Aber die religiöse Seite des Ganzen –»
«Richtig. Das Pilgerfenster in St. Laurence besteht aus acht einzelnen Buntglasfenstern, auf denen eine Legende dargestellt wird, die vermutlich in Umlauf gebracht werden sollte, um der
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