Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
akzeptiert zu werden, Huw, das ist nur ein Teil des Ganzen, denn … also, Folgendes: Sie geht nachts allein durch die Straßen, in einen langen Umhang gehüllt, mit brennender Kerze. Offenbar nimmt sie dabei eine bestimmte Route, durch die ältesten Straßen der Stadt. Manche Leute finden das unheimlich, aber sie nehmen es hin, ohne viel zu fragen, weil …»
«Arme Leute nennt man immer gleich verrückt, Reiche sind einfach nur exzentrisch.»
«Hm-hm. Und dann ist auch dabei wieder ein sexuelles Element.» Sie erzählte ihm vom Friedhof St. Leonard und dem, was sie von Jon Scole gehört hatte. «Aber das ist vielleicht nur Klatsch.»
«Er kann aber auch recht haben – sie vereinigt ihre Energien mit den Energien des Ortes. So, wie Hexen den Sex beim Höhepunkt eines Rituals an einer heiligen Stätte einsetzen. Wer war der Partner?»
«Keine Ahnung.»
«Es sollte ein Einheimischer sein, für die maximale Wirkung.»
«Oder eine Einheimische, wie es scheint.»
«Ah. Interessant. Das kann alles ganz zweckmäßig gedacht sein, Merrily. Diese Frau hat das Städtchen gefunden, in dem sie den Rest ihres Lebens verbringen möchte. Wenn sie eine Kerze von ihrem Haus durch die ganze Stadt und wieder zurück trägt und dabei an den ältesten und heiligsten Plätzen vorbeikommt, immer wieder, als Ritual, dann trägt sie ihren Geist in diese Stadt.»
«Und wird vom Geist der Stadt akzeptiert? Oder von den Geistern …»
«Von welchen Geistern?»
«Wir wissen, dass sie Jon Scole und alle möglichen anderen Leute ausgequetscht hat, um die bekanntesten Geistergeschichten in Erfahrung zu bringen – und davon gibt es hier ziemlich viele: aus dem Mittelalter, aus der Tudorzeit, viktorianische … Sie will wissen, wer und wo die Geister sind.»
«Offenbar betrachtet sie die Geister als die ältesten Einwohner. Verdien dir ihre Anerkennung, und du hast es geschafft.»
«Da war noch etwas … verdammt …»
«Lassen Sie sich Zeit. Nehmen Sie das Handy mal ans andere Ohr, Sie wollen schließlich nicht Ihr Gehirn grillen.»
«Nein. Nicht unbedingt.» Sie wechselte die Seite und lehnte sich mit geschlossenen Augen im Fahrersitz zurück. «Ah, ich weiß – die Kirche.»
«Ist alt und groß.»
«Und hat ein paar berühmte Miserikordien. Belladonna scheint bei mehreren Gelegenheiten einen benutzten … Tampon oder eine Binde hinter sie gesteckt zu haben. Da geht es schon wieder um Blut.»
«Sogar noch besser, um Menstruationsblut. Die größte Macht der Frauen – ihre Fruchtbarkeit. Eine Frau ist am … furchterregendsten, wenn Sie so wollen, während sie menstruiert, wie die meisten Männer zu ihrem Leidwesen irgendwann herausfinden. In der Antike basierten viele Rituale auf der Menstruation – und ihrer Beziehung zum Mond.»
«Ah», sagte Merrily.
«Aber das wussten Sie doch sowieso schon.»
«Ja, aber Sie haben die Fähigkeit, mir die Bedeutung dessen bewusstzumachen, was ich vielleicht sowieso schon gewusst habe.»
«Seien Sie vorsichtig», sagte Huw. «Werfen Sie immer mal wieder einen Blick über die Schulter.»
«Mache ich.»
Merrily hatte noch zehn Minuten Zeit, bis sie mit Jon Scole verabredet war. Sie ging auf den Schlossplatz, über dem sich der zeitlose, graugesprenkelte Himmel spannte.
Neben dem Tor, das zum Schloss führte, befanden sich eine riesige alte Kanone und eine Reihe erst kürzlich beschnittener Bäume. Es war nicht genug Zeit, um jetzt hineinzugehen. Merrily überquerte den Platz in Richtung der Läden:
Woolworth
, die Schlossbuchhandlung. Sie sah ins Schaufenster der Buchhandlung, und wieder einmal prallten Wellen aufeinander.
Neben mehreren anderen Büchern über die Geschichte Ludlows lag ein großformatiges Taschenbuch mit rotweißem Umschlag und einem Wappen in jeder Ecke. Merrily betrat den Laden, und es war einer dieser Momente, in denen sie sich allem um sie herum vollkommen bewusst war.
«Könnte ich … ein Exemplar von dem Buch im Fenster bekommen,
Das Alltagsleben des Mittelalters in Bildern
?»
Der Buchhändler sagte, es wäre das letzte Exemplar, notierte, dass er es nachbestellen musste, und Merrily holte ihr Portemonnaie hervor.
Jemand hatte einen Kranz unter die Eibe gelegt, bei der man Jemima Pegler gefunden hatte. Es gab keinen Hinweis darauf, wer den Kranz gebracht hatte. Ein paar der rosa und weißen Blumen waren schon verwelkt.
Merrily sah zu der dichten Krone des Baumes empor, der angeblich an der Stelle gewachsen war, an der man die Leiche
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