Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
nicht freundlicher ausdrücken –, jemand hätte zu ihr gesagt, so etwas sei wohl zu erwarten gewesen, wenn man sich mit einem Geisteskranken mit … seiner Geschichte einlässt.»
«Wer war es?», rief Merrily zornig. «Jeder, der Lol kennt, würde doch so etwas niemals sagen.»
«Kanonikerin Clarke hat gesagt, sie bedaure es sehr, dass so viele Menschen immer noch so eine primitive Einstellung zu Geisteskrankheiten haben.»
«Aber er –» Merrily schleuderte ihr Zigarettenpäckchen auf den Tisch. «Lol war nie –»
«
Ich
weiß das.»
«Und
sie
hat auch keinen Grund zu der Annahme, aber wenn jemand diesen Mist verbreitet, stellt sie es nicht richtig.» Merrily setzte sich und warf den Kopf zurück. «Was soll ich machen, Soph?»
«Merrily, meistens lässt sich ein blaues Auge ganz einfach erklären, man ist gestolpert, gegen eine Schranktür gelaufen …»
«Nein, meistens ist ein blaues Auge die Folge davon, dass jemand geschlagen wurde. Wenn ich jetzt herumlaufe und den Leuten erzähle, dass ich gegen einen Laternenpfahl gelaufen bin – wie klingt denn das, in dieser Situation? Und ich kann jetzt auch nicht mit dem Plascarreg anfangen, oder? Ich meine, abgesehen davon, dass ich Mumford mit hineinziehen würde … es wäre nach den Nachrichten von heute Morgen auch ein sehr merkwürdiger Zufall. Ich bin völlig am Ende, Sophie. Und das Schlimmste ist … ich habe Lol geschadet.»
«Wollen Sie den Rest hören?»
«Eigentlich nicht.»
«Kanonikerin Clarke fragt sich angesichts Ihres … unberechenbaren Verhaltens in der letzten Zeit –»
«Unberechenbar? Inwiefern?»
«– ob die häusliche Gewalt nicht schon seit längerem ein Problem ist. Ihrer Erfahrung nach ist das unter weiblichen Geistlichen nicht selten, weil sie manchmal allzu eifrig auch noch die andere Wange hinhalten.»
«Die Frau redet wirklich nur Mist.»
«Ehemänner, die ein Problem damit haben, wie allgegenwärtig die Religion bei ihnen zu Hause ist, werden eifersüchtig auf Gott und reagieren gewaltsam. Offensichtlich gibt es da so viele Fälle, dass es dafür inzwischen einen speziellen kirchlichen Beratungsdienst gibt.»
«Ich weiß», sagte Merrily, «aber das – Sophie, was glauben Sie, warum sie das ausgerechnet Ihnen erzählt?»
«Ich nehme an, weil es dann am schnellsten bei Ihnen ankommt.»
«Genau. Und warum?»
«Ich weiß nicht. Vielleicht … bisher haben noch gar nicht so viele Leute von diesem Blödsinn gehört, wie Sie fürchten. Aber wenn Sie jetzt … überreagieren und anfangen, Schuldige zu suchen, dann streuen Sie es. Und vielleicht will sie genau das.»
«Sie glauben also, sie hat dabei ein Ziel vor Augen?»
«Das ist uns doch beiden klar, Merrily. Wahrscheinlich ist es ganz schlicht wild gewordener Ehrgeiz.»
«Wissen Sie, dass der Erzdiakon vorschlägt, mir noch ein paar Gemeinden aufzubürden?»
«Oh. Dann stimmt das also.»
«Von wem stammt diese Idee denn ursprünglich?»
«Das werden wir vermutlich nie herausfinden. Es ist jedenfalls ziemlich offensichtlich, dass sich in der Diözese eine Gruppe formiert, die gegen die Beratung in spirituellen Grenzfragen ist. Ich weiß nicht, wie wir das bekämpfen sollen, aber ich habe das Gefühl, dass wir diesen dummen Gerüchten am ehesten ein Ende bereiten können, indem Sie weitermachen wie bisher. Und gar nicht darauf eingehen.»
«Soll ich die Sonnenbrille tragen oder nicht?»
«Ich würde sagen, nein. Sie haben absolut nichts zu verbergen. Wenn nötig, erzählen Sie den Leuten genau das, was passiert ist. Sie müssen ja nicht dazu sagen, wo es war. Aber die Schwellung ist auch schon stark zurückgegangen.»
«Und Lol? Was macht er? Was soll er den Leuten sagen?», fragte Merrily.
«Ich fürchte, er ist der Einzige, den die Leute ganz bestimmt nicht um eine Erklärung bitten werden.»
31 Rauch
«Arschlöcher.» Gomer Parry nahm Lol das Glas Cider ab. «Danke, Junge. Je älter ich werd, desto weniger Leute gibt’s, die mich auch nur einen feuchten Kehricht interessieren, is ’ne Tatsache. Verdammte klatschsüchtige Arschlöcher.»
Gomer saß auf Lols neuem Sofa. Es ging auf zehn Uhr vormittags. Gomer nahm seine Mütze ab, und seine weißen Haare standen in alle Richtungen ab, wie bei einer alten Tapetenbürste. Er sagte, er sei früh auf gewesen, habe sich ein bisschen um den Friedhof gekümmert und mit den Leuten geredet, die vorbeikamen … und es hatte sich herausgestellt, dass die Leute heute Morgen deshalb so daran
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