Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
wie das heißt. Von wann is der letzte Brief?»
«Von gestern Abend. Ich hatte ein Konzert in Bristol, war erst nach Mitternacht wieder hier.»
«Wussten viele hier, dass du so lange weg sein würdest?»
«Nur Merrily und Jane.»
«Vielleicht is der Brief gekommen, als du noch nich lange weg warst. Man kann sich ja in dieser Straße nich gut verstecken. Wahrscheinlich sind se gesehen worden.»
«Könnte sein», sagte Lol.
«Gut möglich.»
An diesem Vormittag rief Mumford an. Er hatte seine gewohnte Stimme noch nicht ganz wieder.
«Ich hatte recht, Mrs. Watkins.»
«Mit … Mebus?»
«Also, er hat nicht gepetzt. Der mit der Kette auch nicht, und sein Halbbruder auch nicht. Es war noch ein anderer Junge dabei, Niall Collins. Er hat den Kollegen gesagt, wo das Lager war – in einem der Industriebetriebe zwischen Plascarreg und Barnchurch. Crack- und Heroinumsatz von zwanzig Riesen pro Woche, wenn nicht mehr.»
«Haben wir diesen Niall neulich Abend gesehen?»
«Ich schätze, er war der, der gebrüllt hat, dass ein Auto kommt, als gar keins kam.»
«Gelbe Fleecejacke? Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, der wirkt ein bisschen beunruhigt.»
«Kann ich mir vorstellen. Er ist dreizehn, ist seine erste Straftat. Ist zufälligerweise ein Kumpel von Robbie. Kein dicker Kumpel, hatte er ja gar nicht, aber dieser Niall hat ab und zu mit ihm geredet.»
«Statt ihn zu schikanieren.»
«So ungefähr. Die Familie von Niall – sein Dad hat seinen Job verloren, sein Haus wurde gepfändet, und dann sind sie im Plascarreg gelandet. Sein Dad findet es furchtbar dort, das mit den Drogen und dass man fünf Schlösser an der Wohnungstür haben muss. Ist ’ne ganz anständige Familie.»
«Sind vermutlich die meisten dort.»
«Also, jedenfalls hat der Vater mit einem von den Uniformierten geredet und gesagt, er hätte versucht, seinen Jungen von dem Abschaum fernzuhalten, aber das wäre in der Gegend unmöglich. Er hat gesagt, der Junge weiß ’ne Menge über alles, was da so läuft, aber wenn er auspackt, kann er schlecht weiter zwischen den Familien leben, deren verkommene Gören er hinter Schloss und Riegel gebracht hat. Also hat der Uniformierte dafür gesorgt, dass Mr. Collins mal mit Bliss redet.»
«Oh, gut.»
«Jep. Ergebnis war, dass heute früh, als die ganzen Polizeiwagen im Plascarreg aufgetaucht sind, direkt hinter ihnen ein Möbelwagen herfuhr. Und als während der Razzia alle rumgeschrien haben, haben sie heimlich, still und leise die Wohnung von den Collins leer geräumt, und jetzt sind sie vorübergehend außerhalb des Einzugsgebiets untergebracht.»
«Das muss man Bliss lassen … Wer hat Ihnen das alles erzählt?»
Mumford schwieg.
«Das wäre ganz gut zu wissen, wenn ich mit Bliss rede. Ich will ja nicht aus Versehen Ihren Informanten erwähnen.»
Mumford schniefte. «Karen Dowell ist es.»
«Ihre Nachfolgerin?»
«Cousine zweiten Grades oder so was. Blut ist immer noch dicker als Tee aus der Kantine. Aber das behalten Sie schön für sich, Mrs. Watkins.»
«Natürlich. Wie geht es Ihnen denn, Andy?»
«Schwer zu sagen», sagte Mumford. «Bliss ist froh, wenn er die Jungs drankriegt. Aber dadurch wissen wir die Wahrheit über Robbie Walsh immer noch nicht, oder?»
«Vielleicht trägt es ja dazu bei. Warum lassen Sie es nicht etwas ruhiger angehen?»
«Sie haben gestern Abend angerufen», sagte Mumford.
«Ach …» Sie erzählte ihm von der fehlenden Seite in
Das Alltagsleben des Mittelalters
und was der Bischof über die Hinrichtungsstätte gesagt hatte.
Mumford grunzte und sagte, er würde sie auf dem Laufenden halten. Als sie auflegte, begann das Telefon so schnell wieder zu klingeln, dass sie nicht einmal Zeit hatte, Sophie über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Sie griff automatisch zum Hörer.
Sophie ging dazwischen. «Lassen Sie –»
«Torhaus», sagte Merrily. Wenn es Siân war, konnte sie genauso gut jetzt mit ihr reden.
«Oh, guten Morgen. Anwaltskanzlei Smith, Sebald und Partner. Miss Susannah Pepper würde gern mit Mrs. Watkins sprechen.»
Merrily ging hinaus, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sie lief durch den Nieselregen über die Grünfläche vor der Kathedrale und um die Ecke zu dem Bioladen, um für sich und Sophie etwas zu essen zu holen. Als sie zurückkam, breitete sie alles auf den beiden Schreibtischen aus – Bohnenpastete und Reiscracker mit einem Dip aus sonnengetrockneten Tomaten und Schokolade. Sie hatte Urlaub; es war ein
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