Das Lächeln des Cicero
oder eine Frau, die sehr tief
sang. Die Stimme wurde lauter, als ich Tiro näher an die
Innenwand zog. Der Klang schien von hinter den dünnen
Wandteppichen zu kommen. Ich preßte mein Ohr an einen
lüsternen Priapus, umgeben von ebenso lüsternen Nymphen,
und konnte die Worte fast verstehen.
»Ruhig,
Tiro«, flüstere ich und machte ihm Zeichen, mir zu
helfen, das untere Ende des Wandbehangs anzuheben und ihn
aufzurollen. Dahinter kam ein schmaler, horizontaler Schlitz in der
Steinmauer zum Vorschein.
Die Öffnung war
so breit, daß zwei Personen bequem nebeneinanderstehen und
gemeinsam den Ausblick genießen konnten, der sich auf
Chrysogonus und seine Gesellschaft bot. Der hohe Raum, in dem er
seine Gäste empfing, erstreckte sich vom Marmorfußboden
bis unter das Kuppeldach. Das Fenster, durch das wir hinabblickten,
war in einem spitzen Winkel nach unten angebracht, so daß
keine Kante unseren Blick versperrte.
Wie alles andere in
Chrysogonus’ Haus war auch die Tafel verschwenderisch und
überladen. Vier flache Tische, jeweils umgeben von einem
Halbkreis von neun Sofas, waren auf der freien Fläche in der
Mitte des Raumes arrangiert worden. Cicero oder selbst Caecilia
Metella wären empört gewesen bei der Vorstellung, mehr
als acht Besucher gleichzeitig zu empfangen - wenige ungeschriebene
Gesetze römischer Etikette hielten sich hartnäckiger als
die Regel, daß ein Gastgeber nur so viele Gäste um seinen
Tisch versammeln sollte, daß er sich problemlos mit allen
gleichzeitig unterhalten kann. Chrysogonus hatte viermal so viele
Freunde geladen und um Tische versammelt, auf denen sich die
Delikatessen stapelten - mit Fischrogen gefüllte Oliven,
Schüsseln mit Nudeln, dekoriert mit den ersten frischen
Spargelspitzen der Saison, in gelbem Sirup konservierte Feigen und
Birnen sowie diverse Geflügelspezialitäten. Die
Düfte mischten sich und stiegen in meine Nase. Mein Magen
knurrte.
Die meisten der
Gäste waren Männer; die wenigen Frauen fielen durch ihre
sinnliche Figur auf - keine Ehefrauen oder Geliebte, sondern
Kurtisanen. Die jüngeren Männer waren durchgängig
schlank und gutaussehend, während die älteren Herren jene
gepflegt gelangweilte Miene sehr reicher Männer zur Schau
trugen, die sich amüsierten. Ich ließ meinen Blick
über die Menge wandern, jederzeit bereit, das Fenster
fluchtartig zu verlassen, bis mir klar wurde, daß es recht
unwahrscheinlich war, daß einer der Gäste nach oben
gucken würde. Alle Augen waren auf den Sänger in der
Mitte des Raumes gerichtet, hin und wieder riskierte jemand einen
flüchtigen, verstohlenen Blick auf Sulla oder in Richtung
eines jungen Mannes, der zappelnd und nägelkauend an dem am
wenigsten prominenten Tisch saß.
Der Sänger trug
ein wallendes, violettes Gewand mit roten und grauen Stickereien.
Unmengen schwarzen Haars mit weißen Strähnchen
türmten sich in Wellen und Locken zu einer Frisur von beinahe
lächerlicher architektonischer Komplexität. Als er sich
in unsere Richtung umdrehte, sah ich sein in feinen Kreide- und
Umbraschattierungen getöntes Gesicht mit den sorgfältig
überschminkten Fältchen und Hängebacken und erkannte
sofort den berühmten Frauendarsteller Metrobius. Ich hatte ihn
schon ein paarmal gesehen, nie in der Öffentlichkeit und noch
nie auf einer Bühne, immer nur kurz auf der Straße und
einmal in Hortensius’ Haus, als der bedeutende Anwalt geruht
hatte, mich über seine Schwelle vorzulassen. Sulla hatte sich
als junger Mann vor langer Zeit in Metrobius vernarrt, als er noch
ein mittelloser Niemand und Metrobius (so sagt man) ein
wunderschöner und hinreißender Unterhaltungskünstler
war. Trotz der Spuren der Zeit und der Launen des Schicksals hatte
Sulla ihn nie verlassen. Nach fünf Ehen, einem Dutzend
Affären und zahllosen Abenteuern war es Sullas Beziehung zu
Metrobius, die alle anderen überdauert
hatte.
War Metrobius
früher einmal schlank und schön und vermutlich sogar ein
guter Sänger gewesen, so war er heute klug genug, seine
Auftritte auf Privatgesellschaften unter treuen Anhängern und
sein Repertoire auf komische Nummern und Parodien zu
beschränken. Trotz seiner heiseren und gepreßten Stimme
haftete seinen schwülstigen Maniriertheiten und den subtilen
Gesten seiner Hände und Augenbrauen etwas Besonderes an, das
es einem unmöglich machte, den Blick von ihm zu wenden. Sein
Vortrag war eine Mischung aus Singen und Rezitieren, wie ein von
einer einzelnen Lyra begleiteter Sprechgesang.
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