Das Lächeln des Cicero
Prinzip als die Gesetze
sterblicher Menschen hochzuhalten. Denn das Verbrechen, dessen sich
Sextus Roscius schuldig gemacht hat, ist nicht nur ein einfacher
Mord - und das wäre schon schrecklich genug -, sondern
Vatermord.«
Abgrundtiefe Trauer
schlug in abgrundtiefes Entsetzen um. Erucius runzelte die plumpen
Falten in seinem Gesicht und stampfte mit dem Fuß auf.
»Vatermord!« rief er, so schrill, daß die
Menschen selbst am entferntesten Ende des Platzes zusammenfuhren.
Ich stellte mir vor, wie Caecilia Metella in ihrer Sänfte
zitterte und sich die Ohren zuhielt.
»Stellt euch das
bitte vor - nein, schreckt nicht vor der Gemeinheit des Verbrechens
zurück, sondern schaut dem beutehungrigen Ungeheuer direkt ins
Maul. Wir sind Menschen, wir sind Römer, und wir dürfen
nicht zulassen, daß unser natürlicher Ekel uns die Kraft
raubt, selbst dem widerwärtigsten Verbrechen offenen Auges zu
begegnen. Wir müssen unseren Widerwillen hinunterschlucken und
nach Gerechtigkeit trachten.
Schaut ihn euch an,
den Mann, der dort mit zwei bewaffneten Wächtern im
Rücken auf der Anklagebank sitzt. Dieser Mann ist ein
Mörder. Dieser Mann ist ein Vatermörder! Ich nenne ihn
>diesen Mann<, weil es mir Schmerzen bereitet, seinen Namen
auszusprechen: Sextus Roscius. Es bereitet mir Schmerzen, weil es
derselbe Name ist, den sein Vater vor ihm trug, den Vater, den
dieser Mann ins Grab gestoßen - ein vormals ehrwürdiger
Name, an dem jetzt Blut klebt, wie an der blutgetränken
Tunika, die man an der Leiche des alten Herrn fand, von den Messern
seiner Mörder zu Lumpen zerfetzt. Dieser Mann hat den edlen
Namen, den sein Vater ihm gegeben hat, in einen Fluch
verwandelt!
Was kann ich euch
berichten über... Sextus Roscius?« Erucius spuckte den
Namen mit allem Abscheu aus, den er aufbringen konnte, »ln
Ameria, seiner Heimatstadt, weiß man über ihn, daß
er alles andere als ein frommer Mann ist. Geht nach Ameria, wie ich
es getan habe, und fragt die Leute, wann sie Sextus Roscius zum
letztenmal bei einer religiösen Feier gesehen habe. Sie werden
kaum wissen, von wem ihr sprecht. Doch dann erinnert sie an Sextus
Roscius, den Mann, der angeklagt ist, seinen eigenen Vater ermordet
zu haben, und sie werden euch einen wissenden Blick zuwerfen und
die Augen aus Furcht vor dem Zorn der Götter
abwenden.
Sie werden euch
berichten, daß Sextus Roscius in vielerlei Hinsicht ein
Rätsel ist - ein einsamer Mann, ungesellig, gottlos,
rüpelhaft und kurz angebunden im Umgang mit anderen. In der
Gemeinde von Ameria ist er einzig und allein aus einem Grund
bekannt - oder sollte ich sagen berüchtigt: wegen seiner
lebenslangen Fehde mit seinem Vater.
Ein guter Mensch
streitet nicht mit seinem Vater. Ein guter Mensch ehrt seinen Vater
und gehorcht ihm, nicht nur weil das Gesetz es so verlangt, sondern
auch weil es der Wille der Götter ist. Wenn ein schlechter
Mensch dieses göttliche Mandat ignoriert und sich offen mit
dem Mann streitet, der ihm das Leben geschenkt hat, dann betritt er
einen Pfad, der zu allen möglichen unsagbaren Verbrechen
führt - ja sogar zu dem Verbrechen, das zu bestrafen wir uns
hier alle versammelt haben.
Was war der Grund
dieser Feindschaft zwischen Vater und Sohn? Wir wissen es nicht
genau, obwohl Titus Roscius Magnus, der Mann, der hier neben mir
auf der Bank sitzt, bezeugen kann, daß er viele schmutzige
Episoden dieser Fehde mit eigenen Augen gesehen hat, wie im
übrigen auch ein weiterer Zeuge, den ich möglicherweise
aufrufen werde, nachdem die Verteidigung das Wort hatte, der
ehrwürdige Capito. Magnus und Capito sind beide Vettern des
Opfers und auch dieses Mannes. Sie sind geachtete Bürger der
Gemeinde von Ameria. Sie haben jahrelang voller Trauer und Abscheu
mit angesehen, wie Sextus Roscius sich seinem Vater widersetzt und
ihn hinter seinem Rücken verflucht hat. Erschüttert
beobachteten sie, wie der alte Herr jenem Scheusal, das von seinem
eigenen Samen Mensch geworden war, nur um seiner persönlichen
Würde willen den Rücken
kehrte.
Er kehrte ihm den
Rücken, sage ich. Ja, Sextus Roscius pater kehrte Sextus
Roscius filius den Rücken, zweifelsohne zu seinem unendlichen
Bedauern - denn ein kluger Mann wendet einer Schlange von einem
Menschen mit der Seele eines Mörders nicht den Rücken zu,
nicht einmal seinem eigenen Sohn, jedenfalls nicht, wenn er kein
Messer in den Rücken gestoßen bekommen
will!«
Erucius schlug mit der
Faust auf die Balustrade der Rostra und starrte mit
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