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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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Vergnügungen, bei deren Verfolgung er Tag und Nacht,
lediglich von seinen Sklaven begleitet, durch die Straßen
zieht.«
    »Er hat keine
Leibwächter?« fragte ich.
    »Keine
nennenswerten. Zwei Sklaven begleiten ihn. Mehr aus
Bequemlichkeitsgründen als des Schutzes
wegen.«
    »Bewaffnet?«
    »Wahrscheinlich
nicht.«
    »Mein
hypothetischer Vater fordert das Unglück geradezu
heraus.«
    Cicero nickte.
»In der Tat. Die Straßen Roms sind wohl kaum der Ort,
an dem ein anständiger Bürger mitten in der Nacht
herumgeistern sollte, schon gar nicht ein alter Mann. Vor allem,
wenn er nach Geld aussieht und keinen bewaffneten Wächter hat.
Tollkühn, so was! Sein Leben in die eigenen Hände legen,
Tag für Tag - so ein alter Narr. Früher oder später
wird er ein böses Ende finden, sollte man meinen. Doch er
benimmt sich jahraus, jahrein so empörend fahrlässig, und
nichts geschieht. Man beginnt zu glauben, ein unsichtbarer Geist
oder Dämon schützt ihn, weil ihm nie etwas
zustößt. Nicht ein einziges Mal wird er beraubt. Noch
nicht einmal bedroht. Das Gefährlichste, was ihm begegnet, ist
ein Bettler oder ein Betrunkener oder eine nachts durch die
Straßen streifende Hure, und damit wird er mit einer
Münze oder einem Wort zu seinen Sklaven fertig. Nein, die Zeit
zeigt sich offenbar wenig kooperativ. Wenn man ihn sich selbst
überläßt, könnte der alte Herr genausogut ewig
leben. «
    »Und wäre
das so schlimm? Ich glaube, ich fange an, ihn zu
mögen.«
    Cicero zog eine Braue
hoch. »Ganz im Gegenteil, du haßt ihn. Egal warum.
Stell dir für den Augenblick nur vor, daß du ihn, aus
welchem Grund auch immer, tot sehen willst.
Unbedingt.«
    »Die Zeit
wäre noch immer die einfachste Lösung.
Fünfundsechzig, hast du gesagt - wie steht es mit seiner
Gesundheit?«
    »Ausgezeichnet.
Wahrscheinlich besser als deine. Und warum auch nicht? Alle sagen
ständig, wie überarbeitet du bist, die Verwaltung der
Güter, die Familie, du arbeitest dich in ein frühes Grab
- während der alte Herr sich um rein gar nichts zu sorgen
braucht. Er amüsiert sich nur noch. Am Morgen ruht er. Am
Nachmittag plant er seine Abendunterhaltung. Und am Abend stopft er
sich mit teurem Essen voll, trinkt bis zum Exzeß und zieht
mit Männern, die gerade mal halb so alt sind wie er, durch die
Tavernen. Am nächsten Morgen erholt er sich in den
Bädern, und dann geht das Ganze von vorne los. Wie steht es um
seine Gesundheit, willst du wissen? Ich habe dir ja erzählt,
daß er Stammkunde im Bordell
ist.«      
    »Essen und Wein
haben schon manchen Mann umgebracht«, sagte ich. »Und
wie man hört, sollen schon etliche Huren das Herz eines alten
Mannes zum Stillstand gebracht haben.«
    Cicero schüttelte
den Kopf. »Das ist nicht gut genug, zu unzuverlässig. Du
haßt ihn, verstehst du? Vielleicht hast du auch Angst vor
ihm. Du erwartest ungeduldig seinen Tod.«
    »Die
Politik?« schlug ich vor.
    Cicero blieb einen
Moment stehen, lächelte und nahm dann seinen Gang wieder auf.
»Ja, dieser Tage in Rom könnte die Politik einen Mann
gewiß schneller und sicherer ins Grab bringen als das wilde
Leben, die Umarmung einer Hure oder sogar ein
mitternächtlicher Spaziergang durch die Subura.« Er
streckte voll rhetorischer Verzweiflung die weit gespreizten
Hände von sich. »Leider ist der alte Herr eines jener
bemerkenswerten Wesen, denen es gelungen ist, durchs Leben zu
kommen, ohne je etwas mit der Politik zu tun gehabt zu
haben.«
    »Hier in
Rom?« sagte ich. »Als Bürger und
Großgrundbesitzer? Unmöglich.«
    »Dann laß
uns sagen, er ist einer dieser Karnickeltypen -freundlich, hohl und
harmlos. Hat nie Aufmerksamkeit oder Anstoß erregt. Es lohnt
sich nicht, ihn zur Strecke zu bringen, solange noch fettere Beute
frei herumläuft. Obwohl er auf allen Seiten von Politik und
Politikern umgeben ist, wie von einem Dickicht aus Nesseln, schafft
er es trotzdem ohne Kratzer durch das
Gestrüpp.«
    »Es hört
sich schlau an. Ich mag diesen alten Herrn mehr und
mehr.«
    Cicero runzelte die
Stirn. »Schlauheit hat gar nichts damit zu tun. Der alte Mann
verfolgt keine besondere Strategie, sondern er will nur so bequem
wie möglich durchs Leben kommen. Er hat Glück gehabt, das
ist alles. Nichts kommt an ihn ran. Die Italiker erheben sich gegen
Rom? Er stammt aus Ameria, einem Dorf, das bis zum letzten
Augenblick wartet, bevor es sich dem Aufstand anschließt, und
dann die ersten Früchte der Versöhnung erntet; so hat er
die Bürgerrechte erworben.

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