Das Lächeln des Cicero
Tageszeit
dürfte es kaum Zeugen geben, zumindest keine, die gern vor
Gericht auftreten würden. Banden ziehen durch die
Straßen. Ein solcher Tod würde keinen Verdacht erregen.
Es wäre leicht, ihn einer zufällig vorbeikommenden,
anonymen Bande von Schlägern in die Schuhe zu
schieben.«
Cicero beugte sich in
seinem Stuhl vor. Die Maschine kam wieder in Gang. »Du
würdest das Verbrechen also nicht selbst, mit eigener Hand
begehen?«
»Bestimmt nicht:
Ich wäre nicht einmal in Rom. Ich würde mich etliche
Meilen weiter nördlich in meinem Haus in Ameria aufhalten -
und hätte wahrscheinlich Alpträume.«
»Du würdest
also gedungene Mörder anheuern?«
»Natürlich.«
»Menschen, die
du kennst und denen du vertraust?«
»Ist es
wahrscheinlich, daß ich solche Leute kennen würde? Ein
hart arbeitender Bauer aus Ameria?« Ich zuckte mit den
Schultern. »Wahrscheinlich würde ich mich auf
irgendwelche Fremden verlassen. Ein Bandenführer, den ich in
einer Taverne in der Subura getroffen habe. Ein namenloser
Bekannter eines Bekannten eines fernen
Freundes...«
»So macht man
das also?« Cicero beugte sich noch weiter vor und schien
ernsthaft neugierig. Er sprach jetzt nicht mehr mit dem
hypothetischen Vatermörder, sondern mit Gordianus dem Sucher.
»Man hat mir gesagt, daß du tatsächlich über
die eine oder andere Einzelheit in dieser Branche Bescheid
weißt. Man sagte: >Ja, wenn du Kontakt zu Menschen suchst,
die nichts dagegen haben, sich die Hände blutig zu machen, ist
Gordianus der zuständige Mann.<«
»Man? Wen meinst
du, Cicero? Wer sagt, daß ich aus demselben Becher trinke wie
Mörder?«
Er biß sich auf
die Unterlippe, unsicher, wieviel er mir jetzt schon erzählen
sollte. Ich beantwortete die Frage für ihn. »Ich glaube,
du meinst Hortensius, stimmt’s? Da es doch auch Hortensius
war, der mich dir empfohlen hat?«
Cicero warf einen
scharfen Blick zu Tiro, der plötzlich wieder ziemlich hellwach
zu sein schien.
»Nein, Herr. Ich
habe ihm nichts erzählt. Er hat es geraten. « - Zum
ersten Mal an diesem Tag klang Tiro für mich wie ein
Sklave.
»Geraten? Was
soll das heißen?«
»Erschlossen
wäre wohl das passendere Wort. Tiro sagt die Wahrheit. Ich
weiß sowieso, warum du mich gerufen hast, mehr oder weniger
jedenfalls. Ein Mordfall, bei dem es um Vater und Sohn geht, die
beide Sextus Roscius heißen.«
»Du hast
geraten, daß das der Grund war, warum ich dich zu mir gebeten
habe? Aber wie? Ich habe mich erst gestern entschlossen, Roscius
als Mandanten anzunehmen.«
Ich seufzte. Der
Vorhang seufzte. Die Hitze kroch an meinen Beinen hoch wie Wasser,
das langsam in einem Brunnen aufsteigt.
»Vielleicht
solltest du dir das später von Tiro erklären lassen. Ich
glaube, es ist mir zu heiß, um es noch einmal Schritt
für Schritt durchzugehen. Aber ich weiß, daß
zunächst Hortensius den Fall übernommen hatte und
daß du ihn jetzt hast. Ich vermute, das ganze Gerede
über hypothetische Intrigen hat etwas mit dem
tatsächlichen Mord zu tun?«
Cicero sah
bedrückt aus. Ich glaube, er kam sich vor wie ein Idiot,
nachdem er erfahren hatte, daß ich die tatsächlichen
Umstände die ganze Zeit gekannt hatte. »Ja«, sagte
er. »Es ist heiß. Tiro, bring uns ein paar
Erfrischungen. Etwas Wein mit kaltem Wasser. Vielleicht ein paar
Früchte. Magst du getrocknete Äpfel,
Gordianus?«
Tiro erhob sich von
seinem Stuhl. »Ich werde Athalena Bescheid
sagen.«
»Nein, Tiro. Hol
es selbst. Und laß dir Zeit.« Dieser Befehl war
demütigend, und das mit Absicht; das konnte ich an dem
verletzten Blick in Tiros Augen erkennen, aber auch an Ciceros
Miene, der Tiro unter schweren, nicht nur wegen der Hitze
herabhängenden Lidern hervor fixierte. Tiro war es nicht
gewohnt, mit solch niederen Aufgaben betraut zu werden. Und Cicero?
Man sieht es häufig, daß ein Herr seine kleinen
Enttäuschungen an den ihn umgebenden Sklaven
ausläßt. Die Gewohnheit ist inzwischen so verbreitet,
daß sie es tun, ohne nachzudenken; und auch die Sklaven haben
gelernt, es ohne Verletztheit und Hader hinzunehmen, als ob es eine
göttergesandte Unannehmlichkeit des Lebens sei, wie Regen an
einem Markttag.
So weit
fortgeschritten waren Cicero und Tiro noch längst nicht. Bevor
sich Tiro schmollend verzog, lenkte Cicero so weit ein, wie es ihm
ohne Gesichtsverlust möglich war. »Tiro!« rief er
ihm nach. Er wartete, bis der Sklave sich umdrehte, und sah ihn
direkt an. »Und bring dir selbst auch eine
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