Das Lächeln des Cicero
verhängte. Dabei hüpfte sein
verschrumpelter Kopf auf und ab wie ein Korken auf seichten
Wellen.
»Ein altes
Familienfaktotum?« fragte ich. Ich wartete, bis er
außer Sicht war und hielt meine Stimme gesenkt. Der Alte
hatte offensichtlich bessere Ohren als Augen, denn er hatte unser
Klopfen sehr wohl gehört, so daß es unhöflich
gewesen wäre, in seiner Gegenwart über ihn zu reden, als
ob er ein Sklave wäre, was er nicht war. Ich hatte an seinem
Finger den Ring bemerkt, der ihn als Freigelassenen und Bürger
kenntlich machte.
»Mein
Großvater«, sagte Tiro mit mehr als nur ein wenig Stolz
in der Stimme. »Marcus Tullius Tiro.« Er reckte seinen
Hals und blickte zur Tür, als könne er durch den roten
Vorhang sehen und den trippelnden Gang des alten Mannes den Flur
hinunter beobachten. Ein Luftzug hob den bestickten Saum kurz an.
Daraus schloß ich, daß die Tür zur Linken
irgendwie an die frische Luft führen mußte,
wahrscheinlich zum Atrium im Zentrum des Hauses, wo es sich Meister
Cicero vermutlich in der Morgenhitze bequem machte.
»Dann dient
deine Familie seit mindestens drei Generationen im Haushalt der
Tullii?« sagte ich.
»Ja, obwohl mein
Vater bereits starb, als ich noch sehr klein war, so daß ich
ihn nie richtig kennengelernt habe. Genausowenig wie meine Mutter.
Der alte Tiro ist alles, was ich an Familie habe.«
»Und wie lange
ist es her, daß dein Herr ihn freigelassen hat?« fragte
ich, weil es Ciceros Vor- und Familienname war, den der alte Mann
zusätzlich zu seinem angestammten Sklavennamen trug. Es ist
Tradition, daß ein freigelassener Sklave die ersten beiden
Namen des Mannes übernimmt, der ihm die Freiheit schenkt, und
sie vor seinen eigenen stellt.
»Das ist jetzt
fünf Jahre her. Bis dahin gehörte er Ciceros
Großvater in Arpinum. Auch ich gehörte ihm, obwohl ich
seit meiner Kindheit bei Cicero bin. Der alte Herr hat Cicero die
Eigentumsrechte übertragen, als Geschenk zum Abschluß
seines Studiums und seinem ersten eigenen Haushalt hier in Rom.
Damals hat Cicero ihn auch freigelassen. Ciceros Großvater
hätte sich nie die Mühe gemacht. Er glaubt nicht an die
Freilassung, egal wie alt ein Sklave ist und wie lange und
gewissenhaft er seinem Herrn gedient hat. Die Tullius-Familie mag
ja aus Arpinum stammen, aber sie sind römisch bis ins Mark,
eine sehr strenge und altmodische Familie.«
»Und
du?«
»Ich?«
»Glaubst du,
daß Cicero dich auch eines Tages freilassen
wird?«
Tiro lief rot an.
»Du stellst die merkwürdigsten Fragen,
Herr.«
»Das ist nun mal
meine Art. Und mein Beruf. Du mußt dir diese Frage doch schon
selbst gestellt haben, mehr als einmal.«
»Tut das nicht
jeder Sklave?« In Tiros Stimme lag keine Bitterkeit, nur ein
blasser, unaufdringlicher Ton der Trauer, eine ganz spezielle
Melancholie, die mir schon früher begegnet war. In diesem
Augenblick wurde mir klar, daß der junge Tiro einer jener
Sklaven war, die, weil sie über eine natürliche
Intelligenz verfügten und inmitten von Wohlstand aufgewachsen
waren, den Fluch der Erkenntnis zu tragen hatten, wie
willkürlich und kapriziös die Launen des Schicksals sein
konnten, die einen Menschen ein Leben lang zum Sklaven machten und
einen anderen zum König, obwohl es zunächst keinen
erkennbaren Unterschied zwischen beiden gab. »Eines
Tages«, sagte er leise, »wenn mein Herr sich etabliert
hat und ich älter bin. Welchen Sinn hat es überdies, frei
zu sein, wenn man keine Familie gründen will? Das ist der
einzige Vorteil, den ich sehen kann. Und das ist etwas,
worüber ich nicht nachdenke. Jedenfalls nicht
oft.«
Tiro wandte sein
Gesicht ab und blickte zu der Tür, wo sein Großvater
hinter dem Vorhang verschwunden war. Dann sah er mich an, seine
Miene wieder unter Kontrolle. Ich brauchte eine Weile, bis ich
bemerkte, daß er lächelte. »Außerdem«,
sagte er, »es ist besser zu warten, bis mein Großvater
stirbt. Sonst gibt es zwei Freigelassene mit dem Namen Marcus
Tullius Tiro, und wie würde man uns dann auseinanderhalten
?«
»Wie hält
man euch jetzt auseinander?«
»Ich bin Tiro,
und er ist natürlich der alte Tiro.« Sein Lächeln
wurde aufrichtiger. »Großvater reagiert nicht auf den
Namen Marcus. Er glaubt, daß es Unglück bringt, wenn man
ihn so nennt. Eine Versuchung der Götter. Außerdem ist
er zu alt, sich an einen neuen Namen zu gewöhnen, obwohl er
sehr stolz darauf ist. Es ist sowieso zwecklos, ihn zu rufen. Er
geht nur noch an die Tür, und das kann ziemlich lange
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