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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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dauern.
Ich glaube, meinem Herrn gefällt das. Cicero hält es
für ein Zeichen guter Manieren, Gäste an der Tür
warten zu lassen, und ein Ausdruck noch besserer Manieren, sie hier
im Vorraum auf und ab marschieren zu lassen, während der alte
Tiro sie anmeldet, zumindest bei ihrem ersten
Besuch.«
    »Ist es das,
worauf wir im Moment warten? Angemeldet zu
werden?«
    Tiro verschränkte
die Arme und nickte. Ich sah mich in dem Raum um. Es gab nicht
einmal eine Bank, auf die man sich hätte setzen können.
Überaus römisch, dachte ich.
    Nach einer ganzen
Weile kam der alte Tiro schließlich zurück und hob den
Vorhang für seinen Herrn. Wie soll ich Marcus Tullius Cicero
beschreiben? Die Schönen sehen alle gleich aus, aber ein
häßlicher Mann ist auf ganz eigene Weise
häßlich. Cicero hatte eine ausgeprägte Stirn, eine
fleischige Nase, und sein Haar lichtete sich. Er war
mittelgroß mit einer schmächtigen Brust, schmalen
Schultern und einem langen Hals mit kräftigem Adamsapfel. Er
sah wesentlich älter aus als
sechsundzwanzig.      
    »Gordianus«, stellte
Tiro mich vor. »Den sie den Sucher nennen.«
    Ich nickte. Cicero
lächelte freundlich. In seinen Augen lag ein rastloses,
neugieriges Funkeln. Ich war sofort beeindruckt, ohne recht zu
wissen, warum.
    Und im nächsten
Augenblick entsetzt, als Cicero den Mund aufmachte, um zu sprechen.
Er sagte nur zwei Worte, aber das reichte. Er hatte eine schrille,
kratzende Stimme. Tiro mit seinen wohlklingenden Modulationen
hätte der Redner sein sollen. Cicero hatte eine Stimme, die
einem Auktionator oder Komiker gut gestanden hätte, eine
Stimme so seltsam wie sein Name. »Hier entlang«, sagte
er und machte uns ein Zeichen, ihm durch den roten Vorhang zu
folgen.
    Der Flur war recht
kurz, praktisch gar kein richtiger Flur. Wir gingen nur ein paar
Schritte zwischen kargen Wänden entlang, bevor die Mauern
abrupt endeten. Rechts von uns hing ein breiter Vorhang von
blaßgelber Gaze, so fein, daß ich dahinter ein kleines,
aber makellos gepflegtes Atrium erkennen konnte. Unter offenem
Himmel und in der prallen Sonne wirkte das Atrium wie ein aus dem
Haus herausgeschnittener Brunnen, ein Speicher, der vor Hitze und
Licht überzuquellen schien. In der Mitte plätscherte ein
kleiner Quell vor sich hin. Der Gazevorhang bauschte sich und wogte
sanft wie ein Nebel im Wind, wie eine lebende Membran, die beim
leichtesten Luftzug aufseufzt.
    Gegenüber dem
Atrium lag ein großer, luftiger Raum, lichtdurchflutet durch
die hohen, schmalen Dachfenster. Die Wände waren weiß
getüncht. Die Möbel waren rustikal und aus dunklem,
poliertem Holz, verziert mit feinen Schnitzarbeiten, silbernen
Griffen und Intarsien aus Perlmutt, Karneol und
Azurstein.
    Im ganzen Raum war
eine erstaunliche Anzahl von Schriftrollen gelagert. Wir befanden
uns in Ciceros Bibliothek und Arbeitszimmer. Solche Räume sind
oft die intimsten Zimmer im Haus wohlhabender Männer, die mehr
über ihre Bewohner verraten als Schlaf- oder Eßzimmer,
welche die Domäne der Frauen und Sklaven sind. Es war ein
privater Raum, ganz individuell geprägt von dem Mann, der
darin lebte, gleichzeitig aber auch ein öffentlicher Ort -
wofür die Anzahl der Stühle sprach, die vereinzelt im
Zimmer verteilt standen oder zu kleinen Gruppen
zusammengerückt waren, so als wären sie eben erst von
einer beieinanderhockenden Besucherschar verlassen worden. Cicero
wies auf eine Gruppe von drei Stühlen, setzte sich und
forderte uns auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Welche Art Mensch
empfängt seine Gäste in der Bibliothek anstatt im
Eßzimmer oder auf der Veranda? Ein Mann mit einer Vorliebe
für die griechische Kultur, dachte ich. Ein Gelehrter. Ein
Liebhaber des Wissens und der Weisheit. Ein Mann, der eine
Konversation mit einem ihm völlig Fremden mit der
beiläufig listigen Frage eröffnet: 
    »Sag mir,
Gordianus - hast du je daran gedacht, deinen Vater zu
ermorden?«

4
    Wie mag mein Gesicht
ausgesehen haben? Vermutlich konnte man Staunen, Erschrecken und
Entsetzen darin aufleuchten sehen. Cicero sah alles und
lächelte das gelassene Lächeln eines Redners, der
weiß, daß er sein Publikum erfolgreich manipuliert hat.
Schauspieler (und ich habe in meinem Leben eine ganze Reihe von
ihnen gekannt) empfinden eine sehr ähnliche Befriedigung, den
gleichen Kitzel der Macht. Der Hirte offenbart Ödipus die
Wahrheit und löst mit einem einzigen Wort ein Aufstöhnen
des Schocks und der Bestürzung aus, tausend Kehlen, die alle
aufs

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