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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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ohne Zweifel ein paar Nachbarn mitten
in der Nacht aus ihren Häusern gezerrt worden, vielleicht hat
man vom Dach einen Blick über das Forum, und du hast an klaren
Tagen die Köpfe gezählt, die man neu aufgespießt
hatte.
    Aber ich sehe
tagtäglich ein anderes Rom, Cicero, das andere Rom, das Sulla
der Nachwelt hinterlassen hat. Man sagt, er plane sich in
Kürze zur Ruhe zu setzen und wolle uns eine neue Verfassung
geben, die die oberen Schichten stärken und den Plebs auf
seinen Platz verweisen soll. Und wo ist der, wenn nicht in dem von
Verbrechen heimgesuchten Rom, das Sulla uns vermacht? Mein Rom,
Cicero. Ein Rom, das im Schatten brütet, sich nachts bewegt
und die Luft des Lasters atmet ohne die Masken der Politik oder des
Wohlstands. Deswegen hast du mich doch schließlich kommen
lassen, oder nicht? Um dich in diese Welt zu führen oder sie
für dich zu betreten und zu beschaffen, was immer es ist, was
du suchst. Das kann ich dir bieten, wenn du die Wahrheit
suchst.«      
    In diesem Moment kam
Tiro zurück mit einem silbernen Tablett mit drei Bechern,
einem runden Laib Brot, getrockneten Äpfeln und weißem
Käse. Seine Anwesenheit ernüchterte mich schlagartig. Wir
waren auf einmal nicht mehr zwei Männer, die allein in einem
Zimmer saßen und über Politik diskutierten, sondern zwei
Bürger und ein Sklave, oder zwei Männer und ein Junge,
wenn man Tiros Unschuld bedachte. Ich hätte mich nie zu solch
gewagten Äußerungen hinreißen lassen, wenn er den
Raum nicht verlassen hätte. Ich fürchtete, daß ich
schon zuviel gesagt hatte.

5
    Tiro stellte das
Tablett auf dem niedrigen Tisch zwischen uns ab. Cicero musterte es
gelangweilt. »So viel zu essen, Tiro?«
    »Es ist fast
Mittag, Herr. Gordianus wird hungrig sein.«
    »Nun gut. Dann
müssen wir ihm unsere Gastfreundschaft erweisen.« Er
starrte auf das Tablett, schien es jedoch nicht wirklich
wahrzunehmen. Er rieb sich sanft die Schläfen, als ob ich
seinen Kopf mit zu vielen aufrührerischen Gedanken belastet
hätte.
    Der Fußweg hatte
mich hungrig gemacht. Vom Sprechen war meine Zunge dick und
trocken. Von der Hitze hatte ich großen Durst. Trotzdem
wartete ich geduldig, bis Cicero das Mahl eröffnete - meine
politischen Ansichten mögen radikal sein, doch meine Manieren
sind noch nie in Zweifel gezogen worden -, als Tiro mich dadurch
entsetzte, daß er sich freudig in seinem Stuhl vorbeugte,
sich ein Stück Brot abbrach und nach seinem Becher
griff.
    In solchen
Augenblicken erlebt man, wie tief die Wurzeln der Konvention
reichen. Denn obwohl mich das Leben die Willkür des Schicksals
und die Absurdität der Sklaverei gelehrt hatte, trotz all
meiner Bemühungen, Tiro vom Moment unseres Kennenlernens an
als gleichwertigen Menschen zu behandeln, hielt ich doch die Luft
an, als ich sah, wie ein Sklave sich zuerst etwas zu essen vom
Tisch nahm, während sein Herr noch nicht soweit
war.
    Sie bemerkten es
beide. Tiro blickte erstaunt auf. Cicero lachte leise.
    »Gordianus ist
schockiert. Er ist nicht an unsere Umgangsformen gewöhnt,
Tiro, oder an deine Manieren. Es ist in Ordnung, Gordianus. Tiro
weiß, daß ich mittags nie esse. Er ist es gewohnt, ohne
mich anzufangen. Bitte, bedien dich. Der Käse ist recht gut,
direkt aus einer Molkerei in Arpinum und mit den besten
Wünschen meiner Großmutter hierher gesandt.
    Was mich angeht, werde
ich nur einen Schluck Wein zu mir nehmen. Nur ein wenig: bei der
Hitze schlägt er mir sonst garantiert auf den Magen. Bin ich
der einzige, der an dieser speziellen Krankheit leidet? Ich kann
den ganzen Hochsommer über nichts essen; manchmal faste ich
tagelang. In der Zwischenzeit, während dein Mund mit Essen
statt mit Hochverrat beschäftigt ist, habe ich vielleicht eine
Chance, etwas näher zu erläutern, warum ich dich
hergebeten habe.«
    Cicero nahm einen
Schluck und verzog leicht das Gesicht, als würde ihm schon in
dem Moment übel, in dem der Wein seinen Gaumen berührte.
»Wir sind schon vor einiger Zeit vom Thema abgekommen, oder
nicht? Was wohl Didotus dazu sagen würde, Tiro? Wofür
bezahle ich diesen alten Griechen seit Jahren, wenn ich es nicht
einmal zu Hause schaffe, ein wohlgeordnetes Gespräch zu
führen? Ungeordnete Rede ist nicht nur unschicklich, sie kann
am falschen Ort und zur falschen Zeit sogar tödlich
sein.«
    »Ich war mir nie
ganz im klaren darüber, was eigentlich das Thema unseres
Geprächs war, werter Cicero. Ich meine, mich zu erinnern,
daß wir die Ermordung des Vaters von irgend

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