Das Lächeln des Cicero
in
diesem Viertel aus?«
»Aber sicher.
Ich lebe schon seit Jahren hier.«
»Dann kannst du
mir sicher helfen. Zwar leide ich weder Hunger noch Durst, doch es
gibt ein anderes Bedürfnis, das ich zu befriedigen suche. Ich
bin ein Liebhaber von Vögeln.«
»Vögel?
Hier gibt es nur Tauben. Zu sehnig für meinen
Geschmack.« Er lächelte und gab den Blick auf eine
Zahnlücke frei.
»Ich dachte an
eleganteres Geflügel. Daheim zu Wasser, zu Lande oder am
Himmel. Ein Freund eines Freundes hat mir erzählt, daß
es hier in der Gegend Schwäne gibt.«
Er begriff sofort.
»Das Haus der Schwäne, meinst du.«
Ich nickte.
»Einfach nur
diese Straße entlang.« Er wies auf die Lücke
zwischen dem Weinladen und dem roten Mietshaus.
»Führt mich
vielleicht eine der anderen Straßen genauso bequem
dorthin?«
»Nicht, wenn du
nicht doppelt so lange wie nötig laufen willst. Nein, diese
Straße ist der einzig praktische Weg. Es ist ein einzelner
Häuserblock, von dem nur ein paar Sackgassen abgehen. Und der
Spaziergang lohnt sich bestimmt«, fügte er
augenzwinkernd hinzu.
»Das will ich
hoffen. Komm, Tiro.« Wir wandten uns der engen Straße
zu. Man konnte sie nur ein kleines Stück einsehen. Die
Gebäude zu beiden Seiten waren hoch. Selbst im hellen
Morgenlicht schienen sich die Wände um uns zu schließen,
feucht und modrig, eine düstere Seite aus Backstein und
Mörtel.
Die Gebäude, die
die Straße säumten, waren hauptsächlich
langgezogene Mietshäuser, von denen die meisten nur eine
Tür und keine Fenster im Erdgeschoß hatten, so daß
wir lange an nackten Wänden entlangliefen. Alle fünfzig
Schritte waren Nischen in die Mauer eingelassen, in denen noch
immer die Überreste der Fackeln der letzten Nacht glommen.
Unter jeder Fackel war eine kleine Steinplatte angebracht, auf der
die groben Umrisse eines Schwans eingraviert waren, die primitive
Arbeit eines billigen Kunsthandwerkers. Die Kacheln waren
Reklametafeln. Die Fackeln sollten die nächtliche Klientel zum
Haus der Schwäne geleiten.
»Wir müssen
bald da sein«, sagte Tiro und blickte von dem
Wachstäfelchen auf. »Wir haben bereits eine nach links
abgehende Straße passiert und kommen jetzt zu einer weiteren
nach rechts. Laut Rufus’ Wegbeschreibung hat Sextus Roscius
mitten auf der Straße einen großen Blutfleck gefunden.
Aber nach der langen Zeit kann man wohl nicht davon ausgehen,
daß er noch immer -«
Tiro kam nicht mehr
dazu, die Frage zu beenden. Statt dessen brach seine Stimme beim
letzten Wort, als er nach unten blickte und abrupt stehenblieb.
»Hier«, flüsterte er und schluckte
vernehmlich.
Der Körper eines
Menschen enthält viel Blut. Auch sind die Pflastersteine
porös und die Abflüsse der meisten römischen
Straßen nicht der Rede wert, vor allem in den niedrig
gelegenen Vierteln. Zudem hatte es in jenem Winter nur wenig
geregnet. Trotzdem mußte der alte Sextus Roscius eine ganze
Zeitlang stark blutend mitten auf der Straße gelegen haben,
um einen derart großen und unauslöschlichen Fleck zu
hinterlassen.
Der Fleck war fast
völlig rund, und sein Durchmesser entsprach der Armlänge
eines großen Mannes. Zu den Rändern hin war er
ausgebleicht und verwischt und ging unmerklich in den allgemeinen
Schmutz über. Aber zur Mitte hin war er noch immer recht
ausgeprägt, ein sehr dunkles, fast schwarzes Rot. Die
täglich vorüberlaufenden Füße hatten die
Oberfläche der Steine wieder zu ihrer üblichen
öligen Glätte abgeschliffen, aber als ich mich
niederkniete, um einen genaueren Blick auf die Stelle zu werfen,
konnte ich in den Spalten noch immer winzige, vertrocknete Partikel
geronnenen Blutes entdecken.
Ich blickte nach oben.
Selbst von der Mitte der Straße war es nur aus einem extrem
schrägen Winkel möglich, eines der Fenster im ersten
Stock zu sehen. Umgekehrt hätte man sich weit über den
Sims lehnen müssen, um aus den Fenstern auf die Straße
zu blicken.
Die nächste
Tür war wenige Meter die Straße hinauf, der Eingang zu
dem langgezogenen Mietshaus zu unserer Linken. Die Mauer auf der
rechten Seite war genauso nichtssagend mit Ausnahme eines kleinen
Lebensmittelladens an der Ecke, wo die Straße sich mit einer
schmalen Sackgasse kreuzte. Der Laden war noch nicht offen. Die
gesamte Vorderseite bestand aus einer durchgehenden, sehr hohen und
sehr breiten blaßgelb getünchten Holztür, die oben
mit verschiedenen Hieroglyphen für Getreide, Gemüse und
Gewürze verziert war. Viel weiter unten in einer Ecke der
Tür
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