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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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verdecken. Eine Straße
sieht ziemlich genauso aus wie die andere, ein Mischmasch
sämtlicher Architekturstile und Preisklassen. Bei der
Häufigkeit von Bränden und Erdbeben wird Rom praktisch
permanent neu erbaut; mit dem Wachstum der Bevölkerung sind
ganze Straßenzüge in die Hand großer
Grundstücks- und Hauseigentümer gekommen, wobei sich die
jüngsten Gebäude in aller Regel durch die ärmlichste
Architektur und Bauweise auszeichnen. Manchmal stößt man
auf ehrwürdige Backsteinhäuser, die ein Jahrhundert von
Katastrophen unbeschadet überstanden haben, umgeben von
baufälligen Mietshäusern ohne jede Verzierung, die
aussehen, als seien sie lediglich aus Lehm und Stöcken gebaut.
Unter Sulla war das alles natürlich nur noch schlimmer
geworden.
    Wir folgten dem Weg,
den Sextus Roscius uns erklärt und den der junge Messala
niedergeschrieben hatte. Rufus’ Aufzeichnungen waren eine
kaum lesbare Katastrophe. Ich sagte zu Tiro, es sei bedauerlich,
daß er anderweitig beschäftigt und daher nicht in der
Lage gewesen sei, die Notizen in seiner klaren, sauberen
Handschrift niederzulegen. »Als Adliger hat sich Rufus
natürlich nie die Mühe gemacht, ordentlich schreiben zu
lernen, zumindest nicht so, daß irgend jemand anders es lesen
könnte, während du ein bemerkenswertes Talent darin zu
haben scheinst, deinen Griffel zu führen. « Die
Bemerkung sollte so beiläufig wie möglich klingen, doch
ich registrierte lächelnd, wie Tiro
errötete.      
    Ich war mir sicher,
daß wir auf dem richtigen Weg waren, denn er führte uns
durch breite Straßen und unter Vermeidung engerer und
gefährlicherer Abkürzungen auf natürlichem Weg von
Caecilias Haus in die Nähe des Circus. Wir kamen an etlichen
Tavernen vorbei, bei denen Sextus Roscius jedoch wahrscheinlich
nicht haltgemacht hatte, zumindest nicht in jener Nacht, nicht,
wenn er es so eilig gehabt hatte, den Absender der geheimnisvollen
Botschaft zu erreichen.
    Wir kamen auf einen
breiten, sonnenüberfluteten Platz. Die Läden lagen der
zentralen Zisterne zugewandt, zu der die Anwohner kamen, um ihr
tägliches Wasser zu zapfen. Eine große Frau mit breiten
Schultern in schmuddeligen Gewändern schien die selbsternannte
Herrin der Zisterne zu sein und die kurze Schlange von Sklaven und
Hausfrauen zu regulieren, die tratschend umherstanden und darauf
warteten, an die Reihe zu kommen. Einer der Sklaven warf einen
halbvollen Eimer Wasser in Richtung einer zerlumpten Rasselbande,
die in der Nähe herumlungerte. Die Kinder kreischten
vergnügt auf und schüttelten sich wie Hunde.
    »Hier
durch«, sagte Tiro. Er studierte die Wegbeschreibung und
runzelte die Stirn. »Glaube ich zumindest.«
    »Ja, daran kann
ich mich noch erinnern: ein schmaler Durchgang zwischen einem
Weinladen und einem hohen, rotgetünchten Mietshaus.« Ich
überblickte den asymmetrischen Platz und die sechs
einmündenden Straßen. Die Gasse, die der alte Sextus in
jener Nacht genommen hatte, war die engste von allen und wegen
einer scharfen Biegung nach wenigen Metern die am wenigsten
einsehbare. Vielleicht war es der kürzeste Weg zu der Frau
namens Elena. Vielleicht war es der einzige Weg.
    Ich sah mich um und
entdeckte einen Mann, der den Platz überquerte. Ich hielt ihn
für einen kleinen Kaufmann oder Ladenbesitzer, ein Mann von
einigem Vermögen, jedoch keineswegs reich, wenn man nach
seinen abgetragenen, aber solide verarbeiteten Schuhen ging. An
seinem entspannten Gang und der Art, wie er sich auf dem Platz
umsah, ohne offenbar etwas wahrzunehmen, schloß ich,
daß es sich um einen Anwohner handeln mußte, der oft,
wenn nicht täglich hier vorbeikam. Neben der öffentlichen
Sonnenuhr, die auf einem kleinen Sockel aufgestellt war, blieb er
stehen, runzelte die Stirn und verzog die Nase. Ich trat zu
ihm.
    »Verflucht sei
der«, zitierte ich, »der die Stunden erfunden und die
erste Sonnenuhr in Rom aufgestellt!«
    »Ah!« Er
blickte mit einem breiten Lächeln auf und nahm den Refrain
sofort auf. »Erbarmen, Erbarmen! Man hat meinen Tag
zerstückelt wie die Zähne eines
Kamms!« 
    »Oh, du kennst
das Stück«, begann ich, aber er ließ sich nicht
unterbrechen.
    »Als ich klein
war, war mein Magen meine Uhr und führte mich nie in die Irre;
doch heute gibt es nichts zu essen, selbst wenn die Tische
überquellen, bis die Schatten länger werden. Es ist die
Sonnenuhr, die Rom regiert; die Römer hungern und dursten
derweil!«
    Wir lachten leise.
»Bürger«, sagte ich, »kennst du dich

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