Das Lächeln des Cicero
Los, zieh ab,
verschwinde, oder muß ich dich durchprügeln wie einen
Hund?«
Der Anblick war
absurd, mitleiderregend und peinlich. Tiro und ich mußten
gleichzeitig lachen und hörten gleichermaßen abrupt
wieder auf, als wir uns umdrehten und in das aschfarbene Gesicht
der jungen Witwe blickten.
»Wer bist du?
Und was willst du hier?« - »Mein Name ist Gordianus.
Ich handle im Auftrag des hochgeschätzten Anwalts Marcus
Tullius Cicero. Dies ist sein Sekretär Tiro. Ich möchte
dir nur ein paar Fragen stellen betreffs eines gewissen Ereignisses
im letzten September.«
Ihr Gesicht wurde noch
blasser. »Ich wußte es. Frag mich nicht, wie, aber ich
wußte es. Ich habe letzte Nacht davon geträumt... Aber
ihr müßt wieder gehen. Ich kann im Moment mit niemandem
reden.«
Ihr Gesicht verschwand
hinter der Tür. Sie wollte sie zuschlagen, aber ich stellte
meinen Fuß auf die Schwelle. Das Holz war so dünn und
billig, daß es unter dem Druck knackte.
»Komm schon,
laß mich doch rein. Da vorne an der Treppe lauert doch ein
ganz beeindruckender Wachhund, ich höre ihn gerade wieder
hochkommen. Ich bin überzeugt, daß du völlig sicher
bist - du mußt nur schreien, wenn ich etwas Unschickliches
tue.«
Die Tür schwang
abrupt auf, aber es war nicht die Witwe, die vor uns stand. Es war
ihr Sohn, und obwohl er höchstens acht Jahre alt sein konnte,
sah er nicht eben klein aus, vor allem mit dem erhobenen Dolch in
der rechten Hand.
»Nein, Eco,
nein!« Die Frau packte den Arm des Jungen und zog ihn
zurück. Er starrte mich weiter direkt an, ohne mit der Wimper
zu zucken. Überall auf dem Flur gingen klappernd Türen
auf. Der kleine Wächter, der die Treppe hinaufkam, lallte
laut: »Was ist denn da
los?«
»Oh, um Cybeles
willen, kommt rein.« Der Frau gelang es, ihrem Sohn das
Messer zu entreißen. Sie verriegelte rasch die Tür
hinter uns.
Der Junge starrte mich
weiter feindselig an. »Schnitz lieber an denen rum«,
sagte ich, zog die Feigen aus der Tasche und warf sie ihm zu. Er
fing sie alle mit einer Hand.
Das Zimmer war klein
und eng wie die meisten Wohnungen in derartigen Häusern, aber
es gab ein Fenster mit Läden und Platz auf dem Boden, wo zwei
Personen schlafen konnten, ohne sich auch nur zu
berühren.
»Lebt ihr allein
hier?« fragte ich. »Nur ihr beiden?« Ich
ließ meinen Blick über die wenigen Habseligkeiten
wandern, die im Raum verteilt lagen: Kleidung zum Wechseln, ein
kleiner Korb mit Schönheitsmitteln, ein paar Holzspielzeuge.
Ihre Sachen, seine Sachen.
»Was geht dich
das an?« Sie stand in der Ecke des Zimmers in der Nähe
des Fensters, und der Junge stand vor ihr. Sie hatte einen Arm um
ihn gelegt, um ihn zu liebkosen und gleichzeitig
zurückzuhalten.
»Gar
nichts«, sagte ich. »Hast du was dagegen, wenn ich mal
aus deinem Fenster sehe? Du ahnst gar nicht, wie gut du es hast,
einen Blick auf die Straße zu haben, oder doch?« Der
Junge zuckte, als ich näher kam, aber die Frau hielt ihn
fest.
»Es ist
natürlich kein überwältigender Ausblick«,
sagte ich, »aber die Straße ist nachts vermutlich recht
ruhig, und frische Luft ist ein Segen.«
Die Fensterbank
reichte mir bis zur Hüfte. Das Fenster war einen knappen
halben Meter in die Mauer eingelassen, so daß es eine Art
Sitzbank bildete; die Frau hatte ein dünnes Kissen darauf
gelegt. Ich mußte mich weit Vorbeugen, um hinausblicken zu
können. Wegen des Überhangs konnte ich die
Außenmauer des Mietshauses selbst nicht sehen, aber ich hatte
einen guten Blick auf den Eingang des kleinen Lebensmittelladens
ein Stück weiter nach rechts gegenüber: Die alte Frau
kehrte mit derselben Aggressivität, mit der sie auf das
Hackbrett eingedroschen hatte, die Straße vor dem Laden.
Direkt unter uns war der große Fleck von Sextus
Roscius’ Blut, der sich aus dieser Entfernung deutlich von
den Pflastersteinen abhob.
Ich klopfte auf das
Kissen.
»Ist bestimmt
ein gemütliches Plätzchen, vor allem an einem so
heißen Tag wie heute. Muß auch im Herbst ganz nett
sein, an warmen Abenden hier zu sitzen und die Passanten zu
beobachten. In einer klaren Nacht kann man am Himmel bestimmt auch
die Sterne erkennen.«
»Nach Anbruch
der Dunkelheit halte ich die Läden geschlossen«, sagte
sie, »egal wie das Wetter ist. Und auf die Leute auf der
Straße achte ich schon gar nicht. Ich kümmere mich um
meine Angelegenheiten.«
»Du heißt
doch Polia, nicht wahr?«
Sie ließ sich
gegen die Wand sacken, packte den Jungen fester und fuhr
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