Das Lächeln des Cicero
ihm
unbeholfen durchs Haar. Er verzog das Gesicht, sah zu ihr hoch und
versuchte aufgeregt, ihren Arm wegzudrücken. »Ich kenne
dich nicht. Woher weißt du meinen Namen?«
»Sag mir, Polia,
die kluge Devise, dich um deine eigenen Angelegenheiten zu
kümmern - seit wann genau befolgst du die? Schon immer, oder
ist es ein jüngerer Vorsatz? Vielleicht etwas, was du, sagen
wir, seit dem letzten September beherzigst?«
»Ich habe keine
Ahnung, wovon du redest.«
»Als der
Wächter mich hochgeführt hat, hast du geglaubt, wir
wären jemand anders.«
»Ich habe nur
gefragt, ob es meine Mutter ist. Sie kommt dauernd her, um mich um
Geld anzubetteln, und ich habe nichts mehr, was ich ihr geben
könnte.«
»Nein, ich habe
die Worte deutlich gehört. Er sagte, es sei ein Bürger
und sein Sklave, und du sagtest: »Nicht die, die schon mal
hier waren.< Die Vorstellung, sie noch einmal zu treffen, schien
dich ziemlich aufzuregen.«
Das Gezappel des
Jungen eskalierte in einen regelrechten Ringkampf. Sie packte ihn
hart und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Kopf. »Warum
verschwindet ihr nicht einfach wieder und laßt uns in
Ruhe?«
»Weil ein Mann
ermordet worden ist und ein anderer dafür sterben
soll.«
»Was
kümmert mich das?« fuhr sie mich an. Verbitterung
verunstaltete, was noch von ihrer Schönheit übrig war.
»Was hatte mein Mann verbrochen, als er an Fieber starb? Was
hat er getan, daß er den Tod verdient? Das wissen nicht
einmal die Götter. Denen ist es egal. Menschen sterben jeden
Tag.«
»Dieser Tote ist
im September direkt unter deinem Fenster erstochen worden. Ich
glaube, du hast gesehen, wie es passiert ist.«
»Nein, und wie
sollte ich mich auch an so etwas erinnern?« Die Frau und ihr
Kind schienen bei ihrem Kampf in der Ecke einen seltsamen,
zuckenden Tanz aufzuführen. Polias Atem ging mühsamer.
Der Junge nahm seinen Blick die ganze Zeit nicht von
mir.
»So etwas
würdest du bestimmt nicht vergessen. Man kann sogar den
Blutfleck noch erkennen, wenn man aus dem Fenster sieht. Das
muß ich dir ja nicht sagen, oder?«
Plötzlich
riß sich der Junge los. Ich zuckte zurück. Tiro trat vor
mich, um mich abzuschirmen, aber das war gar nicht notwendig. Der
Junge brach in Tränen aus und rannte aus dem
Zimmer.
»Da, siehst du,
was du angerichtet hast? Du hast mich dazu gebracht, seinen Vater
zu erwähnen. Bloß weil Eco nicht sprechen kann,
vergessen die Leute immer, daß er genausogut hört wie
irgend jemand sonst. Es gab eine Zeit, da konnte er auch noch
sprechen. Aber seit dem Tod seines Vaters hat er kein Wort mehr
gesagt. Das Fieber hat sie beide erwischt. Und jetzt raus. Sonst
hab ich euch nichts zu sagen. Verschwindet!«
Sie fuchtelte mit dem
Messer herum, während sie sprach, und schien dann
plötzlich zu bemerken, was sie in der Hand hatte. Sie hielt es
ungelenk und mit zitternden Fingern auf uns gerichtet, und es sah
so aus, als würde sie sich eher selbst verletzen als auf
jemand einzustechen.
»Komm,
Tiro«, sagte ich. »Für uns gibt es hier nichts
weiter zu erfahren.«
Der kleine
Wächter hatte seinen Weinschlauch wieder gefüllt und
saß, den Wein schmatzend zwischen seine Lippen gießend,
auf der oberen Treppenstufe. Er murmelte irgend etwas und streckte
die Hand aus, als wir an ihm vorbeikamen. Ich schenkte ihm keine
Beachtung. Der Wächter für das Erdgeschoß saß
wieder da, wo wir ihn entdeckt hatten, auf dem Boden kauernd am
Ende des Flures. Er schenkte uns keine Beachtung.
Auf der Straße
war es unmenschlich heiß. Tiro stieg nur zögernd die
letzten Stufen hinab. Er sah verdutzt aus.
»Was ist
los?« fragte ich.
»Warum hast du
ihr kein Geld angeboten? Wir wissen, daß sie Zeugin des
Mordes war, der alte Mann hat es doch gesagt. Sie könnte das
Silber bestimmt gut gebrauchen.«
»In meiner
Börse ist nicht genug Geld, um sie zum Reden zu bringen. Hast
du das nicht gesehen? Sie ist total verängstigt. Ich glaube
ohnehin nicht, daß sie Geld angenommen hätte. Sie ist es
nicht gewohnt, arm zu sein, zumindest nicht arm genug, um zu
betteln. Noch nicht jedenfalls. Wer weiß, was für eine
Geschichte sie zu erzählen hat?« Ich versuchte,
möglichst hart zu klingen. »Und wen kümmert es
schon? Was immer es sein mag, es gibt tausend andere Witwen in der
Stadt, die die gleiche Geschichte erzählen könnten, und
eine ist mitleiderregender als die andere. Für uns ist allein
die Tatsache von Interesse, daß irgend jemand sie schon vor
geraumer Zeit zum Schweigen gebracht
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