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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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nicht einmal
eine Frau, sondern ein junger Bandit aus einer Schar von
Räubern, Mördern und Entführern. Auf offener
Straße kann man leicht sterben oder für immer
verschwinden. Für den Unvorsichtigen kann eine Route von zehn
Meilen eine unvermutete Wendung nehmen, die auf einem Sklavenmarkt
Tausende von Meilen von der Heimat entfernt endet. Der Reisende
muß jeden Moment darauf vorbereitet sein, zu fliehen, ohne
Scham um Hilfe zu rufen oder, wenn es sein muß, zu
töten.
    Trotz dieser Gedanken
oder vielleicht gerade deswegen verlief der lange Tag ohne
Zwischenfälle. Die zurückzulegende Entfernung machte
einen langen, beschwerlichen Ritt ohne Pausen erforderlich. Ich
härtete mich rasch gegen die Strapazen ab und gab mich dem
Rhythmus eines gleichbleibenden Tempos hin. Den ganzen Tag lang
überholte mich kein einziger Reiter. Ich passierte einen
Reisenden nach dem andern, als wären sie Schildkröten am
Straßenrand.
    Die Via Flaminia
verläuft von Rom aus in nördlicher Richtung, wobei sie in
ihrem Verlauf durch das südöstliche Etrurien zweimal den
Tiber kreuzt. Bei der Stadt Narnia führt eine Brücke in
den südlichsten Teil Umbriens, und ein paar Meilen
nördlich von Narnia gabelt sich die Straße, und der
kleinere Abzweig führt zurück zum Flußlauf. Die
Straße erklimmt eine Kette von steilen Hügeln, bevor sie
in ein flaches Tal mit fruchtbaren Weinbergen und Weiden
abfällt. Hier, eingebettet in ein V-förmiges Stück
Land zwischen dem Tiber und dem Nar, liegt das verschlafene
Städtchen Ameria.
    Ich war seit Jahren
nicht mehr von Rom aus nach Norden gereist. Wenn ich die Stadt
verlassen mußte, führten mich meine Geschäfte
für gewöhnlich zum Hafen von Ostia oder durch eine Gegend
luxuriöser Villen und Anwesen in südlicher Richtung auf
der Via Appia bis zu den Ferienorten Baiae und Pompei, wo die
Reichen sich die Langeweile durch die Hervorbringung neuer Skandale
und die Planung neuer Untaten vertreiben und die Mächtigen
sich in den Bürgerkriegen auf die eine oder andere Seite
geschlagen hatten. Gelegentlich wagte ich mich auch in
östlicher Richtung vor, in die aufständischen Gebiete,
die ihrer Wut auf Rom in einem Bundesgenossenkrieg Luft gemacht
hatten. Im Süden und Osten hatte ich die Verwüstungen von
zehn Jahren Krieg mit eigenen Augen gesehen - zerstörte
Bauernhöfe, Brücken und Straßen, Leichenberge, die
unbedeckt vor sich hinfaulten, bis sie zu Knochenbergen geworden
waren.
    Im Norden hatte ich
das gleiche Bild erwartet, aber das Land war
größtenteils unversehrt; hier waren die Menschen
vorsichtig bis zur Feigheit gewesen, hatten mit ihren
Einsätzen bis zum letzten Moment gezögert und waren so
lange auf dem goldenen Mittelweg geblieben, bis sich ein klarer
Sieger abgezeichnet hatte, auf dessen Seite sie sich dann eilends
geschlagen hatten. Im Bundesgenossenkrieg hatten sie sich
geweigert, sich den aufständischen Stämmen
anzuschließen, die gegenüber Rom auf ihre Rechte
pochten, sondern hatten statt dessen gewartet, bis Rom sie um Hilfe
bat, und sich so die gleichen Rechte ohne Revolte gesichert. In den
Bürgerkriegen hatten sie auf des Messers Schneide zwischen
Marius und Sulla, zwischen Sulla und Cinna getanzt, bis der
Diktator als Triumphator daraus hervorgegangen war. Sextus Roscius
der Ältere hatte sich allerdings schon offen zu Sulla bekannt,
bevor es opportun wurde.
    Der Krieg hatte die
sanft geschwungenen Weiden und dichten Wälder, die die
südlichen Gefilde von Etrurien und Umbrien bedeckten, intakt
gelassen. Während man in anderen Regionen die
Erschütterungen, die Krieg und Umsiedlungen mit sich gebracht
hatten, auf tausenderlei Weise spüren konnte, herrschte hier
ein Gefühl von Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit, ja
beinahe Stagnation vor. Die Menschen begegneten einem Fremden weder
mit Freundlichkeit noch mit Neugier; von den Feldern drehten sich
Gesichter nach mir um, starrten mich leeren Blickes an und wandten
sich dann mit mißmutiger Miene wieder ihrer Arbeit zu. Magere
Rinnsale tröpfelte durch steinige Flußbetten; ein feiner
Staub bedeckte und verhüllte alles. Die Hitze lastete schwer
auf dem Land, aber noch etwas anderes schien wie eine Decke
über der Erde zu liegen: eine erstickende und entmutigende
Schwermut unter dem gleißenden Sonnenlicht.
    Die Monotonie der
Reise ließ mir Zeit zum Nachdenken; die sich ständig
verändernde Landschaft befreite den Verstand aus den
spinnenwebartigen Straßen und Sackgassen Roms. Doch das
Rätsel, wer den

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