Das Lächeln des Cicero
Wenn
seine schiere Größe nicht ausreichte, jeden Besucher
einzuschüchtern, dann bestimmt sein Gesicht. Er sollte seinen
Posten vor meiner Tür beziehen und ihn bis zu meiner
Rückkehr nicht verlassen; eine Frau aus dem Stall würde
ihm tagsüber Nahrung und Wasser bringen. Selbst wenn er ein
Feigling oder nicht so stark war, wie er aussah, konnte er
zumindest Alarm schlagen, wenn Einbrecher sich meinem Haus
näherten. Was die Bezahlung anging, willigte der Stallmeister
ein, meinen Kreditrahmen zu erweitern. Die Mehrkosten würde
ich Cicero belasten.
Es bestand keine
Notwendigkeit, zum Haus zurückzukehren. Ich hatte alles
mitgebracht, was ich für die Reise brauchte. Ein Sklave holte
Vespa aus dem Stall. Ich stieg auf, drehte mich um und sah,
daß Bethesda mich mit verschränkten Armen anstarrte. Sie
war mit dem getroffenen Arrangement offensichtlich nicht
glücklich, wie ich an ihren dünnen Lippen und dem
wütenden Flackern in ihren Augen erkennen konnte. Ich
lächelte erleichtert. Sie begann sich bereits von dem Schock
des vergangenen Abends zu erholen.
Ich verspürte den
Drang, mich hinabzubeugen und sie zu küssen, selbst vor dem
Stallmeister und seinen Sklaven; statt dessen wandte ich meine
Aufmerksamkeit Vespa zu, suchte ihre frühmorgendliche
Verspieltheit zu dämpfen und führte sie im ruhigen Trott
durch die Straßen. Ich hatte schon vor langer Zeit gelernt,
daß die Geste, mit der ein Herr öffentlich seine
Zuneigung für seinen Sklaven bekundet, stets mißlingt.
Egal wie ehrlich er sie meint, sie gerät ihm immer
herablassend und peinlich, eine Parodie seiner wahren Gefühle.
Trotzdem packte mich plötzlich die Angst, daß ich es auf
ewig bereuen könnte, mir diesen Abschiedskuß versagt zu
haben.
Der Nebel war so
dicht, daß ich mich verirrt hätte, wenn ich den Weg
nicht auch mit verbundenen Augen gefunden hätte. Dicke
Schwaden wirbelten um uns herum, verschluckten das Getrappel von
Vespas Hufen und verbargen uns vor der Million römischer
Augenpaare. Um uns schien die Stadt zu erwachen, aber das war eine
Illusion; die Stadt war nie ganz eingeschlafen. Die ganze Nacht
hindurch kommen und gehen Männer und Pferde und Wagen durch
die in tiefem Schatten liegenden Straßen. Ich passierte die
Porta Fontinalis. Als ich die Abstimmungshalle am Marsfeld hinter
mir gelassen hatte, verfiel ich in einen leichten Trab und nahm die
große Via Flaminia in nördlicher Richtung.
Hinter mir verschwand
Rom, unsichtbar, in der Ferne. Der verhaltene Gestank der Stadt
wurde von dem Geruch bestellter Äcker und frischen Taus
abgelöst. Im Nebel verborgen, schien die Welt offen und
grenzenlos, ein Ort ohne Mauern oder selbst Menschen. Dann ging die
Sonne über den schwarzen und grünen Feldern auf und
vertrieb den sanften Dunstschleier, der sie umfing. Als ich den
breiten, sich nach Norden windenden Arm des Tibers erreicht hatte,
war der Himmel bereits wieder hart wie Kristall, wolkenlos und
hitzeschwanger.
ZWEITER
TEIL
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OMEN
16
Wenn die Reichen sich
aus der Stadt zu ihrer Villa auf dem Land begeben (und
zurück), machen sie diese Reise mit ganzen Gefolgschaften von
Gladiatoren und Leibwächtern. Die umherziehenden Armen reisen
in Scharen, die Schauspieler in Truppen. Jeder Bauer, der seine
Schafe zum Markt treibt, wird sich mit Hirten umgeben. Wer jedoch
allein unterwegs ist - so lautet ein Sprichwort, das so alt ist wie
die Etrusker -, hat einen Narren zum
Begleiter.
Überall, wo ich
bisher gelebt habe, herrscht unter Stadtmenschen der Glaube vor,
daß das Leben auf dem Lande sicherer, ruhiger und weniger
kriminell und bedrohlich ist. Vor allem die Römer entwickeln
eine geradezu blinde Sentimentalität hinsichtlich des
Landlebens und seines friedlichen und jedem Zugriff des Verbrechens
und niederer Leidenschaft enthobenen Wesens. Dieser Phantasie
hängen vor allem diejenigen an, die nie viel Zeit auf dem
Lande verbracht haben und vor allem nie einen Tag auf den
Straßen gereist sind, die Rom wie in alle Richtungen
ausstrahlende Speichen über die ganze Welt gelegt hat. Das
Verbrechen lauert überall, und nirgendwo schwebt ein Mann zu
jedem Moment in größerer Gefahr als auf offener
Straße, besonders wenn er allein unterwegs ist.
Wenn er schon alleine
reisen mußte, sollte er sich zumindest sehr schnell
fortbewegen und für niemanden anhalten. Die alte Frau, die
anscheinend verletzt und verlassen am Straßenrand liegt, ist
vielleicht gar nicht verletzt und verlassen und noch
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