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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erklimmen die Felswände oder werkeln in der Grotte in aller Ruhe vor uns hin. In der Bucht wird ausgiebig gebadet.
     Wir schwimmen um die Riffe herum, unter die ausgehöhlten Klippen, und bei Flut können wir von den Felsen ins Wasser springen.
     DieBucht ist ein Panzer aus Wolken, ein azurblauer Bunker, an dessen Wänden die Realität abprallt. Sie ist eine Enklave der Freiheit,
     wo man sich in der Sonne tummeln und mit dem Meer spielen kann. Sie ist aber auch das Refugium eines Reptils, denn in ihrem
     Inneren residiert der Leguan.
    Ein seltsames Ding ist dieser Leguan. Er ist bestimmt nicht erst gestern aus dem Ei geschlüpft; ein hartgesottener Bursche,
     eine Art galvanisierter, in die Jahre gekommener Punk, dabei ist er für sein Alter noch ziemlich gut erhalten. Man könnte
     ihn irgendwo auf den Galapagosinseln abstellen und meinen, dass er sich gerade vom Schwimmen ausruhe. Du rechnest fast damit,
     dass er im nächsten Moment aufspringt und sich zwischen deinen Beinen hindurchschlängelt. Dass das Tier so lebendig wirkt,
     liegt vor allem an seinen Augen. Diese Pupillen aus pulverisierter Bronze, die zu vibrieren scheinen, diese eingefassten glühenden
     Kohlen, winzige Zerrspiegel. Dabei sind es nur Glasmurmeln, die jedoch vor lauter Leben zu lodern scheinen. Ganz gleich, wo
     man sich gerade in der Grotte aufhält, immer spürt man, wie diese Augen auf einen gerichtet sind und jede Bewegung mit der
     Wachsamkeit derer, die die Wände alter Herrenhäuser schmücken, verfolgen. Aus der Mitte eines Kraftfeldes, das er selbst erzeugt,
     zieht der Leguan einen in seinen Bann. Er ist eine Art Thermostat der hiesigen schrägen Atmosphäre, um den sich alles zu drehen
     scheint, und wenn man ihn auf seinem Altar thronen sieht, kann man sich leicht vorstellen, dass er übernatürliche Kräfte besitzt.
    Eigentlich gehört er Mona Daigneault. Ein mit Kaufoption ausgeliehener Leguan, so lautet die Abmachung zwischen Luc und der
     üppigen Witwe. Deshalb verrichtet er für sie all die Arbeiten; er verdient sich die Miete für die Amphibie. Im vergangenen
     Jahr hatte Mona nach dem tödlichen Herzinfarkt ihres Mannes, eines Präparators, Luc für einige Handreichungen engagiert, worauf
     er beim Aufräumen der Garage, eines heillosen Durcheinanders aus lauter Schichten voller Überraschungen, den Leguan entdeckt
     hatte, der zwischen einem Elchkopf und einem Schildkrötenpanzer eingekeilt war. Wie das Reptil von seinem ursprünglichen Archipel
     weggeschafft worden und auf welcher heutigen
Beagle
es wohl so weit gereist war, bis es in jene Garage gelangte, die der verstorbene Conrad Daigneault sein taxidermisches Museum
     nannte, ist und bleibt ein Geheimnis. Fest steht jedoch, dass Luc bei seinem Anblick von einem jähen Gefühl des Wiedererkennens
     ergriffen wurde. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: die gleiche außerirdische Ausstrahlung, dieselbe Entrücktheit, die
     beiden gemeinsame Liebe zum Wasser. Würde man bei ihnen, wenn man sie sezierte, womöglich ähnliche Eingeweide entdecken? Das
     lässt sich leider nicht überprüfen, da der Leguan schon seit geraumer Zeit keine mehr besitzt, doch Luc versichert, er habe
     sofort die Stärke ihrer Wesensverwandtschaft, die Authentizität dieser übernatürlichen zwillingsgleichen Ähnlichkeit verspürt.
     Er habe auf Anhieb gewusst, dass er einem Gleichgesinnten, einem ebenso Einsamen, begegnetsei; was jedoch den Ausschlag gegeben und seine Absicht, den Saurier zu adoptieren, besiegelt habe, sei dessen Wissen um die
     Träume gewesen.
    Er sagt, der Leguan sei eine Traummaschine, ein visionäres Instrument, ein magisches Gerät, mit dessen Hilfe man in seinen
     Träumen reisen könne. Er behauptet, das Reptil besitze die Fähigkeit, die feine Membran zwischen unserer realen Welt und dem
     Land der Träume zu durchstoßen. Der Leguan sei eine Art Empfänger, den man nur richtig einstellen müsse, in etwa wie ein Radio,
     dann würde man packende, abgefahrene Träume träumen, vibrierende, vielfarbige Träume, die einen fesseln, mitreißen, nähren.
     Träume, die wiederum andere Träume oder sich selbst erhellen. Und er bietet mir an, diese fantastische Traummaschine auszuprobieren.
     Er möchte, dass ich über sie mit meiner Mutter in Verbindung trete. Dass ich mich im Schattenreich der Träume auf die Suche
     nach Mama begebe und von ihr erfahre, wie man sie wieder zum Leben erwecken kann: So lautet sein Vorschlag.
    Das ist wirklich starker Tobak. Man

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