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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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stelle sich einen mit Stroh und vergilbten chilenischen Zeitungen ausgestopften alten
     Leguan vor. Das scheint mir doch weit hergeholt. Und dennoch sind da diese glimmenden Kohlen, diese Augen, die mit mineralischer
     Intelligenz im Dämmerlicht der Grotte glühen. Dieses leise Funkeln, wie ein Fernseher auf Stand-by, der nur darauf wartet,
     eingeschaltet zu werden. Dieses Lächeln des Leguans, als würde er über einen subtilen Witz schmunzeln.
    Luc sagt, es gebe einen Zusammenhang, einen Sinn in der Reihenfolge der Träume, die der Leguan einem übermittle, wie in einer
     täglich ausgestrahlten Fernsehserie, in der man die Hauptrolle spiele. Er selbst werde Nacht für Nacht in einer unterseeischen
     Welt wiedergeboren. Er träume, er sei eine Art Zwitterwesen aus Mensch und Fisch, ein Triton, der auf dieses ozeanische Universum
     ideal eingestellt sei. Und er habe einen unaussprechlichen Namen: Er klinge so ähnlich wie »Fngl«. Jedenfalls würden ihn seine
     Artgenossen so nennen, denn Fngl sei nicht der einzige Triton im Umkreis. In diesem wohligen Traummeer gebe es noch andere
     Wasserwesen, die Luc als »Leichte« bezeichnet, im Gegensatz zu uns armseligen »Schweren«, die wir von der Last unseres irdischen
     Daseins gebeugt sind. Luc behauptet, die »Leichten« seien Pilger, Abenteurer oder schlicht Vagabunden. Wenn er ihnen gelegentlich
     an der Kreuzung zweier Strömungen oder an der Biegung eines fließenden Pfades begegne, dann würden sie miteinander singen,
     jagen und schwindelerregende Schwimmwettkämpfe austragen oder aber in den Wellenhöhlen, wo die Träume entstehen, wo verschiedenste
     Formen miteinander verschmelzen, über tiefgründige Fragen diskutieren. So lassen sich also das Kauderwelsch und all die anderen
     feuchten Gespräche, die seinen Schlaf würzen, erklären.

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    Inzwischen weiß ich also, woher seine flötende Sprache und die ägyptisch anmutenden Gedichte, die er zu Papier bringt, rühren.
     Es hat alles mit den »Leichten« zu tun. Dasselbe gilt für seine Zeichnungen; was Luc im Traum erlebt und sieht, versucht er
     zu malen, daraus nährt sich sein großes Meeresfresko, ein Werk, das er vielleicht künftigen Generationen von schrägen Typen
     wie ihm zu vermachen gedenkt und das die Archäologen des Jahres 5000 gewiss in Staunen versetzen wird.
    Seine Obsession in Sachen Unterwasseratmung ist nicht länger ein Rätsel; ich kenne jetzt den Grund dafür. Es bleibt jedoch
     abzuwarten, wohin sie ihn führen wird,denn das Atmen in den Traumgewässern begeistert ihn dermaßen, dass er beschlossen hat, dasselbe im Wachzustand zu versuchen.
     Er analysiert den Vorgang und das damit einhergehende Gefühl und versucht, beides nachzuahmen. Er stellt Experimente an. Er
     ertränkt sich sogar absichtlich zwei- oder dreimal täglich und spuckt literweise Ozeanwasser aus, ohne aufzugeben; er ist
     nach wie vor davon überzeugt, dass es machbar sei. Sein Entschluss steht fest: Er möchte an die vergessenen Traditionen seiner
     mit Kiemen ausgestatteten Vorfahren anknüpfen. Er glaubt tatsächlich, dass es ihm gelingen wird, und es ist vergebliche Liebesmüh,
     wenn man ihn daran erinnert, dass er doch nur ein Säugetier sei, selbst Wale seien auf Sauerstoff angewiesen. Er behauptet,
     das grundlegende Problem entdeckt zu haben. Dieser verdammte Muskelreflex, der die Luftröhre blockiert, um das Ertrinken zu
     verhindern: Ihn gelte es zu kontrollieren. Und zudem den Brustkorb zu stärken, um das Ausstoßen von Wasser zu erleichtern.
     Dafür unterzieht er sich einem speziellen Trainingsprogramm: Er hat sich aus einem alten Schlauch ein Korsett gebaut, das
     er mindestens eine Stunde täglich anlegt, um seine Brustmuskulatur auszubilden. Er redet sich ein, eine solche Disziplin werde
     schließlich die gewünschte Wirkung zeitigen. Er glaubt tatsächlich an diesen ganzen verrückten Leguanquatsch in der Bucht.
     Jedenfalls mehr als an die triste, unheilvolle Realität draußen, und noch schlimmer: Es scheint ansteckend zu sein. Vielleicht
     ist mir ja, ohne dass ich es bemerkt habe, dieSicherung durchgebrannt, denn auch ich bin versucht, daran zu glauben, selbst wenn es keinen Sinn macht. Das liegt daran,
     dass in der Bucht die Vernunft weniger zählt als anderswo. Dort wirken andere Kräfte, allen voran die der Echse, die in der
     Grotte vor sich hin döst. Der Leguan erzeugt in meiner Seele ein Echo. Jedes Mal wenn ich in die Bucht komme, dringt die Magie
     des Ortes in mich ein und

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