Das Lächeln des Leguans
eingetroffene Sündenladung gelöscht hatte,
empfing uns der Priester schließlich. Ein freundlicher, allerdings sichtlich überarbeiteter Mann. Er hörte sich an, was Luc
über den Grund unseres Besuchs zu sagen hatte, und verkündete, er habe in den acht Jahren, die er sich nunmehr um das Heim
kümmere, noch nie etwas von einer Chantal Bouchard oder Bezeau gehört. Lucs niedergeschlagene Miene bewog ihn zu der Frage,
warum er diese Frau suche. Als er hörte, dass es sich um seine Mutter handle, schlug er ihm vor, sich bei seinem Vorgänger
zu erkundigen, der uns gewiss Auskunft geben könne. Er heiße Pater Loiselle. Aus der Gemeinde Ferland, ja. Miron wollte ihn
gleich anrufen, doch Luc lehnte dankend ab.
Zwei echte Zombies im Bus. Pater Loiselle, dieser lebenslange Verbündete, dieser loyale Mann, Lucs vermeintlicher Freund … Warum nur hatte er das Seemannsheim nie erwähnt? Diese zweideutige Haltung, die er schon immer Luc gegenüber an den Tag
gelegt hatte, diese seltsame Mischung aus Vertrautheit und Verlegenheit, all die kleinen Aufmerksamkeiten, dieses Interesse
an seiner Gesundheit, seinem Wohlergehen … Und dieserblanke Hass, den der Schweinehund ihm entgegenbrachte …
Der Schmutz, von dem Hugues gesprochen hatte. Ein einziger Sumpf, aus dem schädliche Ausdünstungen drangen. Das deutliche
Bild einer schleimigen, giftigen Blase, die, zum Bersten prall, an die Oberfläche stieg.
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»Dekompressionsunfälle können sich auf vielfache Weise äußern. Sobald Stickstoffblasen ins Gewebe und in die Gelenke gelangen,
kann es zu Hautproblemen (Juckreiz, Ausschlägen, Schwellungen) sowie heftigen Gelenkschmerzen, sog. ›bends‹, kommen, die nach
dem Auftauchen einsetzen und vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden später wieder abklingen.«
Lucs Finger zitterte, als er in der Dämmerung an der Tür des Pfarrhauses läutete. Der feiste Verräter öffnete. Da er unseren
Trauermienen ansehen konnte, dass wir nicht etwa gekommen waren, um uns den Bauch vollzuschlagen, führte er uns gleich in
sein Wohnzimmer, einen tristen Raum voller mystischer Düfte, der durch das große Kruzifix und diverse Porträts von Päpsten
nur noch trostloser wirkte. Wir ließen uns auf einem alten Samtsofanieder. Der Priester zwängte seine Körperfülle in den dazugehörigen Sessel und erkundigte sich nach dem Grund unseres Besuchs.
Luc war nicht nach höflichem Geplauder zumute. Er forderte Loiselle ohne Umschweife auf, ihm zu sagen, wo seine Mutter sei.
Der Priester tat so, als wüsste er von nichts, worauf Luc seinen ersten Torpedo abfeuerte. Er unterstellte ihm, ihn von jeher
belogen zu haben, und versicherte ihm, er wisse jetzt Bescheid, nämlich dass der Geistliche sein wahrer Vater sei. Das Gesicht
des beleibten Mannes lief rot an. Er wehrte sich heftig mit »Natürlich nicht! Also wirklich!« und ähnlichen entrüsteten Ausrufen.
Der Priester klang aufrichtig und fragte, wie Luc auf eine solche Idee gekommen sei.
»Im Seemannsheim«, antwortete mein Freund, und nun hatte Loiselle tatsächlich Schlagseite.
Es ist für einen Beichtvater nicht leicht, plötzlich jenseits des Sündensiebs zu sitzen. Eine weitaus weniger angenehme Position.
Was würde er tun: sich dumm stellen oder uns brüskieren, indem er den Vorwurf erneut von sich wies?
Wir hatten uns eine Strategie ausgedacht, um seine Zunge zu lockern. Eigentlich wollten wir den feisten Pater bei einer Lüge
ertappen, doch zog er es vor, ein Geständnis abzulegen oder vielmehr sich zu entschuldigen. Zerknirscht und reumütig gestand
er, die Wahrheit vertuscht zu haben, bat Luc aber, ihm zu glauben, dass er es ihm zuliebe getan habe, um seinen Seelenfrieden
nicht zu stören und ihn später, wenn er die nötige Reife besäße, inalles einzuweihen. Dann kam er auf seine moralische Verpflichtung zu sprechen, manche allzu quälenden Wahrheiten zu verschweigen.
Der Geistliche gewann sein gewohntes Selbstbewusstsein zurück und schien auf einmal eine Predigt zu halten. Er ließ seine
Sonntagsstimme ertönen, die zu überzeugen und zu besänftigen wusste, doch Luc unterbrach seinen wohlklingenden Sermon: Wenn
Loiselle nicht sein leiblicher Vater sei, wer dann? Der Geistliche zog ein Taschentuch hervor und blickte, während er seine
Schläfen trocknete, flehentlich zur Zimmerdecke, als erbitte er Hilfe von oben. Als er sich ein wenig gefasst hatte, hielt
er eine wortreiche Ansprache über Verantwortung,
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