Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
Vom Netzwerk:
Krankenhaus kehrte sie in ihre kleine Wohnung in der Rue des Entrepreneurs zurück (Justine hatte die Vermieterin dazu überreden können, Luciles Kündigungsschreiben außer Acht zu lassen). Für einige Monate lebte Manon, die inzwischen volljährig war, wieder mit ihr zusammen.
     
    Ich weiß nicht, durch welche Umstände Lucile wieder Arbeit als Assistentin in einer Kommunikationsagentur fand. Sie war auf dem Weg der Genesung, sie begann damit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die alltäglichen Worte und Gesten, die Fahrt mit der Metro, den PC , die Kollegen, zu denen sie ein Mindestmaß an Kontakt herstellen musste.
    Einmal in der Woche ging sie zu Dr. G., und sie konnte sie jederzeit anrufen, wenn sie merkte, dass sie ins Wanken geriet.
     
    Dann, ganz langsam, erweiterte Lucile vorsichtig ihren Spielraum und ihr Aktionsfeld.
    Lucile entwickelte sich zur leidenschaftlichen Pflanzenliebhaberin, sie schnitt Stecklinge, vermehrte aus Wurzelstöcken, überwachte die Knospen und schmückte ihre Fenster mit üppigem Laubwerk und Blütenkaskaden.
    Lucile trug neue Kleider und ging wieder zum Friseur.
    Lucile traf sich wieder mit ihren Freunden und ging mit ihnen aus.
    Lucile kaufte Lippenstifte, die sie mehrmals am Tag benutzte und immer dabeihatte.
    Lucile trug wieder Absätze.
    Lucile durchstreifte Paris mit oder ohne uns.
    Lucile fing wieder an zu lesen und zu schreiben.
    Lucile sonnte sich an ihrem offenen Fenster.
    Lucile ließ sich die Zähne in Ordnung bringen.
    Lucile besprühte sich mit
Miss Dior.
    Lucile erzählte Geschichten, Anekdoten, Witze und fällte kategorische Urteile.
    Lucile lachte schallend.
    Lucile besuchte mit Manon Freunde in Dorset.
    Lucile war wie wir alle dabei, als Liane an ihrem siebzigsten Geburtstag in einem enganliegenden grünen Trikot ihren spektakulären Spagat machte.
    Lucile reiste mit einer Freundin nach Indien (diese Reise verstörte sie so sehr, dass sie fast einen Rückfall bekam).
    Lucile interessierte sich wieder für die Presse und verfiel dem Charme Joshka Schidlows (ein Kritiker bei
Télérama
), dem sie wahrscheinlich ein oder zwei Briefe schrieb.
    Lucile tauschte ihre alte Waschmaschine gegen eine neue, das dreizehnte Monatsgehalt machte es möglich.
    Lucile verbrachte einige Tage bei einer Familie in Sankt Petersburg (und kam ganz entzückt zurück).
    Lucile fand neue Freunde (Lucile war immer Meisterin darin, die Menschen zu erkennen, die in unterschiedlicher Weise und unterschiedlichem Maße mit ihr den kleinen Funken Verrücktheit gemeinsam hatten, der sich als Sandkorn ins Getriebe setzen kann).
    Lucile verliebte sich in einen Apotheker in ihrem Viertel und versuchte erfolglos, ihn zu verführen.
    Lucile teilte ihr Leben noch einmal für einige Monate mit dem Aquarellmaler Edgar und versuchte diesmal, auch das erfolglos, ihn vom Alkoholismus zu befreien. Sie wird ihm bis zum Ende eine tiefe Zuneigung entgegenbringen.
    Lucile fand auf ihren Wanderungen einige Liebhaber.
     
    Dieses Mal hatte Luciles Behandlung nicht diese ärztlich verschriebene unüberwindliche Festungsmauer um sie aufgerichtet, in der sie so lange eingesperrt gewesen war. Vielleicht war es nur eine Frage von Lithium und Molekülen. Doch ich liebe den Gedanken, dass über die Chemie hinaus etwas in ihr wieder aufgetaucht war und begann, Widerstand zu leisten.

[home]
    B ei einem Weihnachten in Pierremont, als wir uns alle, vermutlich entsprechend der gerade geltenden Farbregel gekleidet, um eine orgiastische Fülle von Gerichten, eines festlicher und köstlicher als das andere, versammelt hatten, kam es zu einer Szene, die sich in die Familiengeschichte einprägen sollte.
    Das Essen am Heiligabend verlief in gespannter Atmosphäre, was nichts Ungewöhnliches war: Sobald die Familie zusammen war, lud sich die Luft zunächst mit freudiger Elektrizität auf, die sich jedoch bald in Starkstrom verwandelte. Mir schien, dass es meiner Familie von Jahr zu Jahr schwerer fiel, mehr als einige Stunden miteinander unter einem Dach zu verbringen.
    Dieses Mal kristallisierte sich als Kern der Debatte die Anwesenheit von Barthélémys erster Frau heraus, Georges hatte sie immer gehasst, und nun hatte sie darauf bestanden, über Weihnachten mit unserem Vetter nach Pierremont zu kommen, obgleich Barthélémy mit seiner neuen Lebensgefährtin dort war.
    Wir hatten schon vermintere Gelände erlebt, und einige hätten sich problemlos an die Situation angepasst – jeder von uns hatte sich eine tiefe

Weitere Kostenlose Bücher