Das Lächeln meiner Mutter
doch nicht das junge Mädchen aus gutem Hause war, das er kennengelernt zu haben hoffte. Vom Lärm alarmiert, kamen die Krankenschwestern zur Verstärkung, die Tür ging auf und zeigte eine Lucile, die am Boden lag und sich dort wohl zu fühlen schien.
Einige Sekunden lang nahm ich nichts mehr von dem Aufruhr rings um mich wahr: Auf dem Boden liegend und plötzlich unberührt von dem Tumult, den sie ausgelöst hatte, lächelte Lucile mir zu, ein seltsames, unendlich sanftes und wehrloses Lächeln. Die Zeit war stehengeblieben.
Justine bat die Krankenschwestern, sie nicht allein zu lassen. Auf dem Gang sah ich, wie blass und von Trauer gezeichnet ihr Gesicht war, ich begriff, wie schwer es für Justine war, da zu sein, diese Rolle, diese Verantwortung zu übernehmen, und mit welcher Heftigkeit dieser Augenblick zu den vergangenen Schmerzen hinzukam. Violette kam zu uns auf den Gang, die Krankenschwester war bei Lucile geblieben, wir warteten auf den Krankenwagen.
Als Lucile aus dem Zimmer kam und alle mit dem Blumensprüher nasssprühte, nahm mich ein gewissenhafter Arzt bei den Schultern und führte mich in einen kleinen Raum, wo er mich auf einen Stuhl drückte und mir befahl, mich nicht vom Fleck zu rühren.
Lucile war schließlich bereit, hinunter zur Notaufnahme zu gehen, wo der Krankenwagen, der sie in die Klinik Sainte-Anne bringen sollte, bereits vorgefahren war. Barnabé floh, die Situation überforderte ihn. Eine meiner Freundinnen blieb noch ein bisschen bei mir, während Justine und Violette dem Krankenwagen folgten, um bei Luciles Ankunft da zu sein. Und dann musste meine Freundin nach Hause.
Der schlimmste Moment war dieser Übergang zum Alleinsein, dabei brauchte ich es, um zu weinen.
Am Abend brachte mir eine verständnisinnig lächelnde Krankenschwester ein Schlafmittel, das ich nicht nahm. Am nächsten Morgen klopfte es in aller Frühe an meine Tür, es war eine Frau mit einer dünnen Stimme.
»Guten Tag, ich bin die diensthabende Psychologin. Anscheinend gab es gestern Abend ein kleines Problem mit Ihrer Mutter. Möchten Sie darüber sprechen?«
Seufzend antwortete ich, dass … nein danke … nein, alles sei in Ordnung. Ich machte ihr etwas vor, genau wie Lisbeth: eine Frage der Übung.
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U m diese Seiten zu schreiben, habe ich einige Hefte des Tagebuchs, das ich lange geführt habe, gelesen, und ich war überrascht von der Präzision, mit der ich fast täglich über mehrere Jahre die prägendsten Ereignisse, aber auch Anekdoten, Abendunternehmungen, Filme, Abendessen, Gespräche, Überlegungen, die winzigsten Details festgehalten habe, als müsste ich das alles im Auge behalten, als wollte ich verhindern, dass mir die Dinge entglitten.
Tatsächlich ist mir ein großer Teil dessen, was darin steht, entfallen. Mein Gedächtnis hat nur das Herausragendste und einige mehr oder weniger vollständige Szenen bewahrt, während das Übrige längst dem Vergessen anheimgefallen ist. Bei der Lektüre dieser Berichte verblüfft mich vor allem diese natürliche Auslese auf Befehl unseres Organismus, dass wir diese Fähigkeit haben, zu verschleiern, zu löschen, zusammenzufassen, dieses Vermögen, zu selektieren, wodurch vermutlich Platz geschaffen wird wie auf einer Festplatte, es wird aufgeräumt, und man kommt weiter. Beim Lesen dieser Seiten habe ich neben Lucile auch mein Studentinnenleben wiedergefunden, meine Jungmädchen-Sorgen, meine Verliebtheiten, meine Freunde, die, die immer noch da sind, und die, die ich nicht habe halten können, ihre scharfsinnigen Äußerungen, ihre spontanen Feste, die grenzenlose Bewunderung, die ich ihnen entgegenbrachte, und meine Freude und Dankbarkeit, weil sie bei mir waren.
Zwischen den Seiten dieser Hefte fand ich einige Briefe, die mir Manon zu der Zeit, als Lucile sie gezwungen hatte, aus ihrer Wohnung auszuziehen, und auch in den Wochen danach geschrieben hatte. Manon war siebzehn. Als ich von ihrer Verzweiflung las, weinte ich wie schon lange nicht mehr.
Ich glaube, Manon war Lucile verbundener, als ich es je war, und sie hat ihr Leid stärker in sich aufgenommen, als ich je bereit war, es zu tun.
Was immer ich behaupte und wie sehr ich auch großtue, es ist schmerzhaft, wieder in diese Erinnerungen einzutauchen, wieder an die Oberfläche zu holen, was verdünnt, weggewischt, bedeckt war. Je weiter ich vorankomme, desto stärker spüre ich die Auswirkungen des Schreibens (und der damit verbundenen Recherchen), ich kann den
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