Das Lächeln meiner Mutter
zappelig vor Ungeduld. Da saßen sie beide wie Erwachsene, weit entfernt von dem Getriebe, das zu dieser Zeit der Heimkehr vom Strand im Haus herrschte, von den auf den Badezimmerboden geworfenen feuchten, sandigen Badesachen, dem Hin und Her unter der Dusche und dem Streit darüber, wer mit Handtuchaufhängen an der Reihe war. In diesem Jahr hatte Georges genug Geld gehabt, um für den ganzen August ein Haus zu mieten und seine Familie ans Meer zu schicken. Jedenfalls sprach niemand mehr davon, nach L. zu fahren. Zwei Jahre zuvor waren sie in Nauzan gewesen, und die Kinder waren begeistert von dem großen Strand, der Eisverkäuferin und den Waldspaziergängen. Zusätzlich zu ihrer eigenen Sippe hatten Liane und Georges auch noch den Sohn ihrer Concierge mitgenommen. Das hatte sich zwei Tage vor der Abfahrt entschieden. Georges war dem Kind auf der Treppe begegnet und hatte es sehr blass gefunden,
ganz pipsig,
hatte er diagnostiziert und war zu dem Schluss gekommen, der Junge brauche frische Luft. So war Georges. Er lud Clochards zum Essen ein, beherbergte Flüchtlinge aus aller Herren Länder und nahm die Kinder anderer mit in die Ferien, als wären ihm die eigenen nicht genug. Und dann kümmerte sich Liane um die Mahlzeiten, zog Betten auf und ab, wusch und setzte die solidarischen Anwandlungen ihres Mannes in die Tat um.
Lucile sah zu, wie der riesige, von einer üppigen Sahnehaube gekrönte Eisbecher vor ihr auf den Tisch gestellt wurde. Sie fing links an, ganz methodisch, Sahne, Eis und Obst zu gleichen Teilen, und schloss die Augen, um es besser genießen zu können. Nach zehn Tagen an der Sonne war ihr Haar fast weiß, genau wie der Flaum auf ihren Armen, den sie gern gegen den Strich streichelte oder mit den Fingern auszureißen versuchte. Wenn sie es sich hätte aussuchen können, wäre sie lieber ein behaartes Ungeheuer gewesen, mit echten langen und dicken Haaren, oder mit borstigen, stacheligen wie die von Igeln. Sie war in die Sandalen geschlüpft, ohne die Füße zu säubern, der Sand klebte ihr noch an den Knöcheln. Genauso spürte sie auch das Salz auf ihrer Haut, sie mochte dieses Gefühl, es kam ihr vor, als sei ihr Körper von einer mit bloßem Auge kaum erkennbaren Schutzschicht überzogen. Im Wasser hatte Lucile Angst, aber sie liebte den Strand. Am Strand und unter freiem Himmel gingen der Geräuschpegel ihrer Familie und der Platz, den sie in Anspruch nahm, sobald sie irgendwo ankam, beinahe unter. Die Stimmen, das Lachen und die Schreie hallten weniger laut. In der Weite des Sandes zwischen Dünen und Wassersaum waren die Poiriers nur noch eine Traube winziger bunter und bewegter Gestalten, die sich mit allem Übrigen mischten und schließlich damit verschmolzen. Liane pflanzte den Sonnenschirm auf, stellte die Kühltasche in den Schatten und streckte sich dann auf ihrem Handtuch aus, um ihre Haut der Sonne darzubieten. Liane war dazu geboren, sich zu bräunen. Gegen Mittag schnitt sie die Baguettes auf, und jeder machte sich sein eigenes Sandwich zurecht. Die Kinder verbrachten die Tage im Wasser, erfanden immer neue Spiele, drängten sich auf dem kleinen Schlauchboot und liehen sich gegenseitig Taucherbrillen und Schnorchel aus. Abends kehrten sie müde, zerzaust und mit jedem Tag ein bisschen gebräunter ins Haus zurück.
Lucile hatte ihr Eis noch nicht halb aufgegessen, da entdeckten sie Jean-Marc, der auf sie zukam. Barthélémy seufzte.
»Scheiße, da kommt der Verbinder!«
Diesen Spitznamen hatte sich Jean-Marc im Verlauf des Jahres erworben, auch als Anspielung auf das Rugby, das Georges so sehr liebte, aber vor allem, weil er eine Art Scharnier zwischen den beiden Lagern war, zwischen den Großen und den Kleinen, wobei Erstere ihn huldvoll akzeptierten, während er von Letzteren angehimmelt wurde.
Der Verbinder
war weder richtig groß noch richtig klein oder aber beides zugleich.
Jetzt war Jean-Marc auf ihrer Höhe angekommen.
»Maman sucht euch, sie macht sich Sorgen.«
Barthélémy musterte ihn kurz. Er freute sich nicht, ihn zu sehen. Jedenfalls hatte er nicht genug Geld, um auch ihm ein Eis zu spendieren. Und außerdem waren sie unter sich, also in besserer Gesellschaft, Jean-Marc würde sie nur blamieren mit seinem seltsamen Akzent, den er einfach nicht loswerden konnte, dabei wurde er oft genug darauf hingewiesen, und sie übten immer wieder mit ihm. Jean-Marc beäugte unwillkürlich die Eisbecher, und etwas wie Neid huschte über sein Gesicht.
Lucile
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