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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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langjähriger oder der des betreffenden Abends (denn Georges trifft überall, sobald er ein Bahnhofsgebäude oder ein Restaurant betritt, Leute, die er zum Abendessen einlädt), willkommen ist, an die Gespräche bis tief in die Nacht und das begeisterte Pläneschmieden. In diesem endlosen Defilee begegnet man Nachbarn von unten, Nachbarn von oben, Freunden von hier und von da, Au-pair-Mädchen, angehenden oder erfahrenen Journalisten, Varietékünstlern, Georges’ jüngerem Bruder, Lianes Schwestern und Schwagern, Gilberte Pasquier, die einen Fluglotsen geheiratet hat, und Pierre Dac und Francis Blanche, mit denen Georges nach der Befreiung einige Monate zusammenarbeitete.
     
    Was auch geschieht, irgendwann am Tag fällt Liane für ein oder zwei Stunden in einen bleiernen Schlaf. Um zu überleben, wie Zeugen später erklären werden.
     
    Wenn ich mir sie vorzustellen versuche, kommt es mir so vor, als bildeten meine Großeltern ein ebenso seltsames wie selbstverständliches Paar von beeindruckender Vitalität und Energie. Liane erzählt jedem, der es hören will, dass ihr die Ehe Glück und Freiheit geschenkt hat. Ihre Fröhlichkeit, ihr Lachen und ihre Vitalität sind unwiderstehlich.
    Georges betet seine Frau an und legt ihr eine Opfergabe nach der anderen zu Füßen. Aus einem Schrank, den er mit Kork und Zinkblechen isoliert, bastelt er ihr einen riesigen Kühlschrank, und sie entdecken die Freuden der Lebensmittelkühlung. Doch der Schrank muss mit Eis bestückt und das Tauwassergefäß regelmäßig entleert werden. Einige Monate später erliegt Georges der Versuchung und nimmt einen Kredit auf, um Liane einen echten Kühlschrank zu schenken, dann kauft er eine kleine Hoover-Waschmaschine, die aber noch nicht schleudern kann.
    Liane stellt Georges’ Entscheidungen nie in Frage und verschließt die Augen vor allem, was die Liebe, die sie ihm entgegenbringt, beflecken könnte.
    Aus unterschiedlichen Gründen fliehen sie beide nach vorn und führen ein bourgeoises Boheme-Leben, sie sind Bobos, noch bevor es das Wort gibt.

[home]
    L iane und Georges verließen die Rue de Maubeuge eher kurzentschlossen, im April 1960 . Durch gemeinsame Freunde waren sie mit einem Ehepaar in Kontakt gekommen, das in einem der bürgerlichen Viertel im Stadtzentrum von Versailles ein großes Haus gemietet hatte, aus dem von neun Kindern acht bereits ausgezogen waren. Luciles Familie sehnte sich nach mehr Platz, Familie A. wollte gern zurück nach Paris. Nach einigen Besuchen und Gegenbesuchen beschloss man einen Wohnungstausch. Georges’ neue Agentur entwickelte sich gut, er glaubte, sich eine höhere Miete leisten zu können. Das Haus war drei Stockwerke hoch und lag mitten in einem kleinen, von einer Mauer umgebenen Garten. Luciles Familie ergriff also Besitz von den vierzehn Zimmern – mit Ausnahme eines kleinen Arbeitszimmers, in dem Familie A. einige Sachen verstaut hatte, für die in der Pariser Wohnung kein Platz war. Lucile fand bald den Schlüssel zu diesem Arbeitszimmer, das sie oft aufsuchte, um sich Dinge anzueignen, die ihr irgendwie nützlich erschienen oder ihr gefielen.
    Der jüngste Sohn der Familie A., damals etwa zwanzig Jahre alt, verliebte sich gleich bei der ersten Begegnung Hals über Kopf in Lucile. Sie war vierzehn. Der junge Mann wandte erstaunlich viel Energie auf, um mit der Familie Poirier in Kontakt zu bleiben, und erfand immer neue Vorwände, um Georges zu besuchen und ihm Hilfe bei allen möglichen Arbeiten anzubieten. Nicht lange, und er hielt aufs feierlichste und ernsthafteste um Luciles Hand an. Georges lachte nur schallend.
     
    Alle, vom Jüngsten bis zum Ältesten, suchten sich ein Zimmer aus. Lucile, Justine, Violette und ihre Eltern eigneten sich die erste Etage an, Milo, Jean-Marc und Lisbeth die zweite, und Barthélémy übernahm, wie es zu ihm passte, für mehrere Jahre die Herrschaft über die oberste Etage. Zum ersten Mal hatte Lucile ein eigenes Reich, zu dem niemand anders Zutritt hatte. Sie richtete sich mitsamt ihrer Unordnung, einem wilden Durcheinander von Kleidungsstücken und Büchern, in dem nur sie sich zurechtfand, darin ein und schloss die Tür hinter sich. Lucile lag stundenlang auf ihrem Bett und träumte, sie erfand ihre Zukunft, eine Zukunft, die sie sich vor allem als frei von allen Zwängen vorstellte, ohne Fesseln und Hindernisse. Wenn sie an die künftigen Zeiten dachte, dachte Lucile weder an einen Mann noch an einen Beruf. Kein Prinz, kein Erfolg bevölkerte

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