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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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vertreiben, nutzte die Gelegenheit und beklagte sich über die Schwierigkeiten der Sprache Descartes’. Am Konjunktiv zwei scheitere letztlich doch jeder, der sie zu beherrschen vorgebe. Georges versprach ihm einige Nachhilfestunden und setzte seine Rede fort. So sei zum Beispiel Lucile von allen Schulen, die sie besucht habe, verwiesen worden. Erstauntes Raunen der Anwesenden. Die französische Schule lasse keinen kritischen Geist zu. Übrigens fragten sich seine Frau und er allmählich, ob ihre Kinder überhaupt in das französische Schulsystem passten, keines der sieben habe sich bisher durch gute Noten hervorgetan. Und das trotz ihrer Begabungen.
    »Milo arbeitet sehr gut mit in der Schule«, berichtigte ihn Liane. »Und Violette wartet sehnlichst darauf, hingehen zu dürfen. Mein Chéri übertreibt immer.«
    »Sieben?«, fragte die Gattin des Vertriebsdirektors eines großen Orangensaftherstellers verblüfft.
    Sie bat darum, alle sieben sehen zu dürfen. Seien sie genauso schön wie ihre älteren Geschwister? Liane rief ihre übrigen Kinder, und bald stand die kleine Truppe, mit Milo an der Spitze, mitten im Wohnzimmer. Etwas schüchtern sagten alle Kinder nacheinander guten Tag. Allgemeine Begeisterung. Welch wundervolle Familie! Justine nutzte die durch ihren Auftritt hervorgerufenen Kommentare und verdrückte sich in die Küche, wohin ihr Violette, die ihr nicht von den Fersen wich, sofort folgte. Milo und Jean-Marc blieben ein wenig bei den Erwachsenen und setzten sich, dicht aneinandergedrängt, auf eine Sofalehne. Als Liane die beiden zu ihren Schwestern brachte, fragte Milo, ob auch er bald aufbleiben und mit den Erwachsenen reden dürfe. Liane flüsterte ihm ins Ohr:
    »Bald, mein kleiner Engel, bald.«
     
    Seit ihrem Umzug gaben Liane und Georges viele Abendessen. Liane engagierte bei diesen Gelegenheiten eine
Hilfe,
die einen Teil des Essens zubereitete, servierte und beim Aufräumen half. Zu Beginn des Abends kamen die drei Ältesten nach unten, sagten guten Tag,
boten eine kleine Abwechslung,
beantworteten einige Fragen nach der Schule oder erzählten von dem Stück, das sie zuletzt im Théâtre-Français gesehen hatten, wo sie alle drei ein Abonnement hatten. Manchmal lud Georges sie ein, zum Apéritif zu bleiben. Er glaubte, es nütze den Kindern, wenn sie den Erwachsenen zuhörten und lernten, sich am Gespräch zu beteiligen. Bei diesen Unterhaltungen vor dem Abendessen entdeckte Lucile allmählich, dass ihr Vater seine Grenzen hatte. Georges wusste nicht alles. Im Kreis anderer Menschen, die ebenso stark, brillant und gebildet waren wie er, behielt Georges nicht immer das letzte Wort. Manchmal stieß er auf völlig entgegengesetzte Meinungen oder auf Argumente, die er nicht so leicht widerlegen konnte, was ihn jedoch nie daran hinderte, abschließend kategorisch zu erklären, er habe recht. Lucile beobachtete ihren Vater und entdeckte Anzeichen seiner Intoleranz und seiner Widersprüchlichkeit. Seit langem schon hatte Georges verfügt, Proust sei ein minderwertiger Schriftsteller, ein Buchstabenkacker und inkontinenter Schreiberling. Der Stil? Billige Spitzendeckchen für sehbehinderte alte Jungfern. Da könne man ja gleich eine Schlaftablette nehmen. Georges brachte die Leute damit zum Lachen, und niemand wagte ihm zu widersprechen. Doch eines Tages, bei einer dieser Soireen, bei denen Georges nie auf die Hauptrolle verzichtete, geriet er an einen Proust-Spezialisten, der alle seine Angriffe zu parieren und die Texte dieses Schriftstellers, von dem er manche Passagen auswendig konnte, zu verteidigen wusste. Lucile lauschte dem Rededuell, das sich zwischen den beiden Männern entspann, sie ließ sich kein Wort entgehen. Ihr Vater konnte also auch im Unrecht sein und sich sogar lächerlich machen. Barthélémy, der ebenfalls dabei war, schlug sich auf die Seite des Kontrahenten. Georges befahl ihm zu schweigen. Am Tag darauf stahl Lucile aus Lianes Portemonnaie das Geld für den ersten Band der
Suche nach der verlorenen Zeit
und vergrub ihn inmitten ihres berühmten Tohuwabohus.
     
    Im Wohnzimmer in Versailles verhielt sich Lucile ganz in ihrer Art, still beobachtend. Ihre Stimme war selten zu hören, doch niemand hätte ihre Anwesenheit übersehen können. Die drei Ältesten gingen dann zum Abendessen zu den Geschwistern in die Küche, während sich Liane und Georges mit ihren Gästen in das Esszimmer begaben. Georges war Meister in der Kunst, seine Kunden – Fabrikdirektoren,

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