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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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kommt gerade noch rechtzeitig für die Messe in Pierremont aus den Ferien zurück. Nach der Messe wird ein Imbiss für die Familienmitglieder, die Freunde und Nachbarn gegeben. Dieser Augenblick ist geprägt von Georges’ Leid, einem den Anwesenden ins Gesicht geschleuderten kompakten bitteren Hass.
    Beim Hören der Aufnahme merke ich, wie schmerzlich dieser Tag für Violette war, wie schwer es ihr fällt, über diesen Tag zu sprechen. Ihre Stimme wird noch brüchiger, als sie von den Erinnerungsstücken spricht, die sie und Luciles andere Schwestern beim Ausräumen des Hauses in Pierremont gefunden haben. Meine Großmutter Liane hatte von jedem ihrer verstorbenen Söhne einige Devotionalien aufgehoben. Von Antonin einen winzigen Pappkoffer, ein Schulheft und eine Muttertagskarte, die er ihr fein säuberlich geschrieben hatte. Von Jean-Marc ein Heft, eine Schwimmmedaille und ein holzgeschnitztes Pfadfinderkreuz. Von Milo lagen in dem durchsichtigen Plastikbeutel, in dem sie sie wahrscheinlich erhalten hatte, seine Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr, ein Feuerzeug und ein Taschenkalender, in den er genau zu dem Tag, an dem er sich das Leben genommen hatte, folgende Worte geschrieben hatte …
    »In den er was geschrieben hatte?«
    Jetzt weint Violette. Ich höre mich, wie ich ihr mit erstickter Stimme ein Taschentuch anbiete, das sie annimmt. Es folgt ein Schweigen von einigen Sekunden, wir bringen beide kein Wort heraus, dann setze ich mit einer Stimme, die entschlossen klingen soll, das Gespräch fort: »In den er was geschrieben hatte?« Ich weine nicht. Ich will es wissen. Ich bin eine Sadistin, ein detailgieriger Vampir, ich drehe das Messer in der Wunde um und labe mich am feuchten Geräusch der Innereien, genüsslich mansche ich darin herum,
platsch, platsch,
ich greife ins tiefste Innerste, das habe ich in diesem Augenblick gedacht, und das denke ich noch beim Hören der Aufnahme.
    Violette schneuzt sich geräuschvoll und bringt ihren Satz dann zu Ende:
    »In den er geschrieben hatte: ›Bitte verzeiht mir, ich habe nie leben wollen.‹«
    Es folgt wieder ein Schweigen von zwei oder drei Minuten, ein unendlich lastendes Schweigen, und dann brechen wir plötzlich in Gelächter aus. Wir krümmen uns vor Lachen, wir liegen am Boden vor Lachen, wir lachen uns tot. Zwischen zwei Glucksern flüstere ich: die Folter …
    Violette lacht immer noch schallend und gesteht mir, dass sie sehr widerwillig gekommen sei (es ist unser zweites Gespräch), dass sie absolut keine Lust gehabt habe, wirklich gar keine, sie habe sich sogar gefragt,
warum gehe ich da hin,
und dann habe sie gedacht, es müsse sein. Es sei wichtig.
    Violette fragt mich, ob mir die Auswirkungen meines Projekts bewusst seien, denn jetzt sprächen auch Luciles Geschwister untereinander über die Vergangenheit, erzählten sich, was schon lange nicht mehr erzählt werde, nämlich was jeder Einzelne über die Geschichte der Toten und Lebenden wisse. Und dann sagt Violette etwas, das mich zum Lächeln bringt: Weißt du, das bringt Bewegung ins System.
     
    Später in dem Gespräch, das ich noch einmal höre, damit ich auch den leisesten Hauch mitbekomme, damit mir nichts von diesem Geschenk entgeht, das sie mir genau wie die anderen machte, indem sie sich mir zur Verfügung stellte, sagt Violette mir, sie könne es kaum erwarten, das Buch zu lesen. Sie denke, es werde bewegend für sie sein,
meine
Lucile kennenzulernen. Und sie fügt hinzu:
    »Denn ich denke trotz allem, dass sie euch einen guten Start ins Leben ermöglicht hat. Von Lucile gibt es Fotos von einer Sanftheit, die ich in dieser Familie sonst bei niemandem gesehen habe.«
     
    Also versuche ich zu erklären, was ich zu schreiben anstrebe. Als ich diese Gespräche mehrere Wochen bevor ich mit dem Schreiben beginne, führe, habe ich noch keine Ahnung von dem, was mich erwartet. Genau das sei es: Ich wolle den Tumult zeigen, aber auch die Sanftheit. Meine Stimme wird brüchig, jetzt bin ich diejenige, die schwach wird.
     
    Plötzlich verkündet uns mein Computer, der noch im Standby-Betrieb ist, mit einer feierlichen Frauenstimme (was er mir etwa dreimal täglich verkündet):
    » Für das Antivirenprogramm VPS wurde ein Update ausgeführt .«
    Violette wirft mir einen boshaften Blick zu und fragt:
    »Na, zufrieden?«

[home]
    I n Bagneux schenkte mir Lucile
Warten auf Godot,
weil Manon mir den Spitznamen Didi gegeben hatte und ich sie Gogo nannte. Didi und Gogo heißen die

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