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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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oft ein und dieselbe Passage, an der sie hängengeblieben war. Klavierspielen war für Lucile inzwischen die einzig mögliche Beschäftigung. Es fiel ihr schwer, mit uns zu sprechen, uns zuzuhören, sie ärgerte sich über unsere Spiele, kochte selten und schlief immer weniger. Doch am Klavier saß sie aufrecht und konzentriert. Saties
Gymnopédies
und Chopins Walzer werden für mich immer mit ihr verbunden sein, so wie ich bei Bach immer an meinen Vater denke, der Traversflöte spielte.
     
    Einige Tage lang kam Lucile immer bleicher und müder von der Arbeit nach Hause. Sie fand keinen Schlaf mehr. Sie schreibe an etwas, erklärte sie mir, an etwas sehr Wichtigem.
    Eines Abends nach dem Essen legte sich Lucile in ihrem Zimmer hin, ich flüchtete mich in meins und las zum hundertsten Mal
Die Daltons brechen aus
oder einen anderen Comic. Gegen zweiundzwanzig Uhr kam Manon zu mir. Lucile gehe es schlecht, wir müssten Marie-Line, ihre Freundin aus dem Büro, rufen, Lucile selbst habe das gesagt, wir sollten Marie-Line anrufen und sie bitten, sofort zu kommen. Ich ging nicht zu Lucile, verfolgt von dem Gedanken, sie könnte direkt vor unseren Augen sterben. Ich wählte die Nummer von Marie-Line, die mich zu beruhigen versuchte und sofort zu kommen versprach. Es dauerte noch einige Minuten, bis ich wagte, das Schlafzimmer meiner Mutter, bei der Manon geblieben war, zu betreten.
    Wir warteten auf Marie-Line, die eine halbe Stunde später mit ihrem Mann eintraf. Lucile hatte viel Gras geraucht, aber kein Schlafmittel genommen, jedenfalls keine Menge, die sie in Gefahr hätte bringen können. Sie sprach mit Marie-Line, die lange da blieb und uns ins Bett schickte. Als wir am nächsten Tag zur Schule gingen, schlief Lucile noch. Abends kam ich voller böser Vorahnungen nach Hause, und sie lag immer noch in derselben Haltung da, sie war nicht zur Arbeit gegangen. Lucile sprach zum ersten Mal von diesem Text, den sie am Abend zuvor beendet habe und uns bald zu lesen geben werde, von diesem Text, nach dessen Ende sie mehrere Tage lang gesucht habe, gegen das sie angerannt sei wie gegen eine Festungsmauer, das sie aber schließlich doch zu Papier gebracht habe.
    Lucile war dem Wahnsinn und dem Suizid knapp entronnen. Das waren ihre Worte, und so schrieb ich sie in mein Tagebuch, Wort für Wort. Das Schreiben hatte eine Erinnerung auftauchen lassen, die sie in weite Ferne verbannt hatte, in so weite Ferne, dass sie glaubte, endgültig vor ihr sicher zu sein. Lucile sprach mit mir über die Scham, über die Macht der Scham. Jetzt werde es ihr bessergehen. Sie versprach, weniger zu rauchen.
     
    Lucile stand auf, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, und ging wieder zur Arbeit.
     
    Einige Tage später machte sie Fotokopien von dem Text, sie gab ihn uns zu lesen und schickte ihn an ihre Eltern und alle ihre Geschwister.
     
    Luciles Text heißt
Recherche esthétique
[Ästhetische Suche]. Wir fanden ihn zwischen anderen Texten wieder, getippt und in mehreren Ausfertigungen. Sie spricht darin von der Todessehnsucht, vom Wahnsinn, der auf sie lauert, von den lebhaft bunten Bildern, die wir für sie malen, von unseren Muttertagsgeschenken, deren sorgfältige Ausführung sie rührt. Sie beschreibt darin ihr unablässig wachsendes Unbehagen, dem sie sich bis zum Höhepunkt überlässt:
    Ich liebe es, mich so schlecht zu fühlen, so körperlos neben meinem Körper und mit so viel Aufmerksamkeit für seine Regungen, seine ausgeprägte Unbeholfenheit, seine Schwäche.
    (…)
    11  Uhr erster Joint, erste Ängste. Wie soll ich meine Gedanken beisammenhalten, bügeln, mit meinen Kindern sprechen, auf etwas anderes hören als das Nichts. Werden meine Finger auf den Tasten zittern. Wird es mir gelingen zu arbeiten, statt nur mechanisch zu wiederholen, um eine kaum zu erhoffende Perfektion zu erreichen.
    (…)
    Ich liebe es, so selten einzuschlafen. Das Schlafzimmer ist besänftigend. Ich bin steif, ich denke daran und sage mir, dass ich recht habe. Ich will diesen Körper verschleißen und ihn so zum Leben bringen. Wieso sollte ich ihn verwöhnen, hat man mich etwa verwöhnt?
    (…)
    Werde ich meinen Vater vor meiner Mutter Buße tun lassen, da ich doch weiß, dass er mir keine Laune abschlägt. Wie diese Goldkette, die ich mir neulich schenken ließ.
    (…)
    Ich kaufe viele Zigaretten, ich habe Männer geliebt, mein Mund ist bitter. Ich bin überwältigt von Baudelaires Kleinen Prosagedichten, es ist, als hätte ich sie nie zuvor

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