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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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dann kein Mittel, um diese elende Pisse abzustellen?«
    »Viel mächtigere Zauberer als ich haben uns das gesandt, König. Es gibt keine Zaubersprüche, dem zu gebieten.«
    »Und werden wir allesamt ersaufen? Sag, werden wir?«
    »Wir werden den neuen Tag erleben, glaube ich«, sagte der Behaarte.
    Tatsächlich legte sich der Regen einige Stunden später, was der Behaarte nicht auf sein Zutun zurückführte, aber die Mauern der Stadt blieben verschont. Als sich die Sonne wieder zeigte, inspizierte Gilgamesch mit Enkidu und Vy-otin von der Mauerkrone aus alles und blickte verwundert hinaus auf die überschwemmte Ebene, das Gewirr umgestürzter Bäume, die Trümmer zerstörter Dörfer und die Kadaver der ertrunkenen Tiere, die aus den Marschlanden herangespült worden waren. Aber Uruk selbst war heil geblieben, wenn es auch ein bißchen aufgeweicht aussah. Es würde also diesmal keine zweite Sintflut sein. Und vielleicht handelte es sich nur um einen Krieg der Dämonen hoch droben, dachte Gilgamesch, was diesen teuflischen katastrophalen Regen über die Stadt brachte.
    Daß Simon ihm seinen Haarmenschen gesandt hatte, überraschte ihn, und es gefiel ihm. In diesen uralten Geschöpfen, die lebten, bevor es Menschen gab, lag große Weisheit, und ihre Hilfe war etwas höchst Wertvolles. Gewiß zog Simon bei dieser Transaktion den kürzeren, wenn er diesen uralten Zauberer und ehrenwerten Weisen eintauschte gegen nichts als ein paar Säcke voll bunter Steine. Aber als Geste war das wahrhaft königlich, und es bewies, daß Simon mehr war als ein ausschweifender Gierhals. Vielleicht war es dem alten Weinschlauch von einem Tyrannen auch nicht mehr wichtig gewesen, vielleicht sah er schon seinen nächsten Tod vor Augen, und es kümmerte ihn nichts mehr, und er wollte sich nur noch in den schimmernden schönen Steinen suhlen, die er so liebte. Aus welchem Grunde immer – und Gilgamesch bezweifelte, daß hinter dem Ganzen irgend etwas Bösartiges steckte –, er war dankbar, dieses seltsame Geschöpf an seinem Hof zu haben.
    Er wies dem Haarmenschen im Palast erlesene Gemächer an, an einem geschlossenen Innenhof, in dem er im Freien schlafen konnte, wenn ihm der Sinn danach stand; Geschöpfe seiner Gattung zogen es vor, nachts keine Dächer über dem Kopf zu haben. Bei den Tagesgeschäften am Hof behielt er ihn in seiner Nähe, sowohl als Zauberer und Beschwörer, wie auch zum Zwecke schlichter Beratung in Fragen der Diplomatie und der Staatskunst, denn er war ein höchst nützlicher Ratgeber.
    Das Leben am Hof verlief in unerbittlicher Routine. Tag um Tag trafen neue Gesandtschaften aus anderen Fürstentümern der Nachwelt ein, seitdem sich die Nachricht verbreitete, daß der starke Held Gilgamesch in Uruk erneut an die Macht gekommen war, und man mußte die Emissäre offiziell mit gebührendem Gepränge empfangen. Die Gesandten kamen hereingestolpert, oft wirkten sie abgerissen und entnervt durch die Un- und Zufälle ihrer Reise durch die weite Ödnis der Nachwelt; sie brachten Geschenke und Lobsprüche und sonstiges Brimborium, sein Wohlwollen zu erlangen, vor Gilgamesch. Alle erstrebten sie das eine: Bündnisse mit dem Sumererkönig gegen tatsächliche oder mögliche Feinde, oder aber Gilgameschs Mitwirkung bei irgendwelchen verzwickten und kostspieligen Plänen, ihre eigene Größe auf Kosten ihrer Nachbarn zu steigern.
    Die Stapel der Gesandtschaftsstäbe wuchsen wie Sanddünen im Wind. Gilgamesch schüttelte ärgerlich den Kopf angesichts der unordentlichen Haufen, die sich in seinem Thronsaal mehrten. »Die Vollkommene Aryanische Republik – das Neue Ottomanische Sultanat – das Ruhmreiche Proletarische Königreich – das Reich der Freien Geister – das Unbezwingbare Amazonenreich – das Großdionysische Königreich – der Rolling Acres Country Club…« Gilgamesch hob den Blick und fragte Vy-otin: »Ist das etwa auch ein Volk? Der Rolling Acres Country Club?«
    »Ein höchst wohlhabendes Land, habe ich mir sagen lassen, mit prächtigem grünen Rasen und schönen Häusern, von einem königlichen Komitee von achtzehn Männern regiert.«
    »Einem Komitee von Königen? Reiner Wahnsinn!«
    »Sie behaupten, daß es ihnen dabei sehr gut geht.«
    »Und dieses Portefeuille da – von der Erhabenen Großfürstin, der Artemis von Neu-Kreta – und hier, von Seiner Transsylvanischen Exzellenz Vlad dem Fünften – und da noch eins, auf kostbarem Velin, Himmel, von – was steht da? Soll das eine Schrift sein? Jigme Phakpa

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