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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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und niemand mußte Hunger leiden; allerdings berichtete Vy-otin, daß das Volk ein bißchen murrte, weil Gilgamesch die Nahrungsverteilung recht strikt rationiert hatte.
    »Sollen sie doch murren«, sagte Gilgamesch. »Wer glaubt, er bekommt hier den Bauch nicht voll genug, kann zu saftigeren Weiden ziehen, wenn er welche findet. Laßt sie zu den Amazonen gehen. Oder nach Rolling Acres.«
    »Oder sie sollen Kuchen essen«, bemerkte Herodes.
    »Was? Aber wir haben doch keinen Kuchen für das Volk! Woher sollten wir Kuchen nehmen, wo wir kaum anständiges Brot haben?«
    »Ach, nichts weiter«, sagte der Hebräer. »War nur ein kleiner Scherz.«
    Gilgamesch schüttelte den Kopf. »Ein ziemlich törichter. Kuchen? Was soll an Kuchen komisch sein?«
    »Ich könnte es dir später erklären«, erbot sich Vy-otin.
    »Du? Woher solltest du wissen, was der meint? Ist es etwas, das ihr beide von euren Freunden unter den Später Toten aufgeschnappt habt? Bei Herodes rechne ich ja mit so etwas, aber du, Vy-otin, wie kannst du…?«
    Herodes stotterte: »Beim Heiligen Altarsakrament, Gilgamesch, ich sage dir doch, es war nur ein…«
    In eben diesem Augenblick trat Enkidu in das Gemach des Königs. Mit einer herrischen Geste, gebot Gilgamesch Herodes Schweigen und sprach: »Kuchen, Enkidu. Sie sollen Kuchen essen.«
    »Was?«
    »Es ist der neueste Witz. Herodes hat ihn mir gerade erzählt.«
    Enkidu blinzelte verdutzt. »Habe ich was nicht mitbekommen? Sie sollen Kuchen essen? Das finde ich nicht besonders witzig.«
    »Es stammt von den Später Toten und ist zu subtil für so jemand wie uns beide.«
    »Bei Allahs Liebe, Gilgamesch«, flehte Herodes. »Darf ich dir die Geschichte erzählen, damit du es verstehst? Es gab da mal eine Königin in Frankreich – Frankreich ist ein Königreich aus der Zeit der Später Toten, in Europa, irgendwo in der Nähe von Germanien und Hispanien – und zur Zeit dieser Königin standen die Dinge in Frankreich sehr schlecht, ein Großteil des Volkes hungerte, und…«
    Enkidu sagte: »Erzähl uns das später, Herodes. Ich habe Kunde für den König. Dicht vor der Stadt hält ein Heerestrupp.«
    »Ein Heerestrupp?« Gilgameschs Augen wurden groß. »Was für ein Heer?«
    »Ein sehr zerlumptes müdes Heer, Bruder. Vier-, fünfhundert Mann stark, darunter auch Frauen, und wie es aussieht, können sie kaum noch kriechen. Ein paar Bauern, die nach Wasser bohren wollten, entdeckten sie vor einigen Stunden, halb verhungert und verdurstet. Jetzt lagern sie einige Meilen draußen in der Wüste, und sie ersuchen um deine Erlaubnis, hereinkommen zu dürfen.«
    »Das ist kein Heer«, sagte Gilgamesch. »Das ist bloß ein Haufen harmloser erbarmungswürdiger Versprengter, denke ich.«
    »Es sei denn, sie führen ein Trojanisches Pferd mit«, sagte Herodes.
    »Ein was? Ist das schon wieder einer von deinen Spätzeit-Witzen?«
    »Nein, nicht aus der Zeit der Später Toten, Gilgamesch«, sagte Vy-otin. »Herodes spielt auf eine viel ältere Sache an – diesmal ist es eine von den Geschichten bei – Homer. Als die Griechen einst die Stadt Troja belagerten, merkten sie, daß sie nur durch eine List in die Stadt gelangen konnten, also erbauten sie ein gewaltiges Roß aus Holz, das…«
    Gilgamesch bedachte den Einäugigen mit einem merkwürdigen Blick »Moment mal! Du bist doch angeblich – wie lautete das Wort noch? – prähistorisch? Du kommst, wenn ich mich nicht irre, aus dem Pleistozän, ja? Woher weißt du dann so viel über die Griechen und ihren Krieg gegen Troja? Das Ganze war doch lange nach meiner Zeit, ganz zu schweigen von der deinen!«
    »Aber hier ist die Welt, in der ich jetzt lebe. Die andere war nur ein Augenblick, vor langer Zeit, und hier ist für immer. Und darum ist dies hier die für mich wirkliche Welt und die andere war wie ein Traum. Ich habe mich auf dem laufenden gehalten. Sollte ich denn nicht Bescheid wissen über die Geschichte der Menschen, mit denen ich Tag für Tag zu tun habe, Gilgamesch? Solltest nicht auch du das?«
    »Geh nicht so hart mit ihm um«, murmelte Herodes. »Geschichte kommt und geht bei uns allen wie ein Hirnfieber. Und er steckt gerade in einer Phase der Vergeßlichkeit.«
    »Ach so«, sagte Vy-otin. »Ja, dann. Natürlich.«
    Ärgerlich bemerkte Gilgamesch: »Geht es bei dem ganzen Gerede darum, daß wir von diesem zerlumpten Haufen von Fremdlingen eine Hinterlist fürchten sollen?«
    »Das ist die Meinung von Herodes, nicht meine«, sagte Enkidu. »Nach meinen

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